Offener Brief gegen Bundeswehr-Einsatz in Mali
am 29. Mai werden Sie über die Verlängerung der Mandate für MINUSMA und EUTM Mali abstimmen. Wir möchten Ihnen nahelegen, diese Entscheidung gründlich zu überdenken und dem Einsatz Ihre Zustimmung zu versagen. Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika
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Berlin, 24.05.2020
Offener Brief an die Abgeordneten des Bundestags
Keine Verlängerung der Mandate für EUTM Mali und MINUSMA
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 29. Mai werden Sie über die Verlängerung der Mandate für MINUSMA und
EUTM Mali abstimmen. Wir möchten Ihnen nahelegen, diese Entscheidung
gründlich zu überdenken und dem Einsatz Ihre Zustimmung zu versagen.
Seit nunmehr sieben Jahren stimmt der Bundestag einmal jährlich für den
Einsatz der Bundeswehr in Afrika, leider, ohne dass die Debatte die
wirklich grundlegenden Fragen aufgreift. Es geht um viel: Nicht nur um
fast drei Milliarden Euro, die von allen Ministerien zusammen für
Projekte in der Sahelzone für das Haushaltsjahr 2020 vorgesehen sind,
davon 43 Prozent für den Einsatz der Bundeswehr in Mali. Es geht viel
mehr um das Leben vieler Menschen. Die Sicherheitslage in Mali, darin
sind sich alle Beobachter•innen einig, verschlechtert sich zunehmend[1]
– trotz der siebenjährigen Intervention. Es droht ein Scheitern wie in
Afghanistan.
Welchen Sinn hat ein Militäreinsatz, wenn sich die Lage vor Ort immer
weiter von den gesetzten Zielen des Einsatzes wegbewegt? Der
Bundesregierung wie auch den Vereinten Nationen fallen in dieser
desaströsen Situation nur Durchhalteparolen ein. Doch genügt es noch,
sich selbst an den hehren Zielen des Einsatzes zu berauschen, wenn die
Ziele zunehmend realitätsfern werden? Vermag der beschworene
„integrierte militärisch-zivilen Ansatz“, wirklich „Frieden, Sicherheit
und Stabilität“ zu schaffen, gar „Wohlstand und Beschäftigung für
alle“?[2] Oder sollen alle Zweifel mit schön klingenden Worten
beschwichtigt werden, bis nächstes Jahr?
Der Bericht der Bundesregierung beschreibt sehr eindringlich die
Problemlage in dieser Region:
- soziale Konflikte, die von sich islamistisch gebenden Gruppen
instrumentalisiert werden; - kein Vertrauen eines Großteils der Bevölkerung in staatliche
Autoritäten, die als korrupt und unfähig wahrgenommen werden; - Machteliten, die sich durch „Volksferne“ auszeichnen und keinen
Willen zur Lösung der Konflikte erkennen lassen.
Doch bei dieser Beschreibung bleibt die Bundesregierung stehen. Die
Frage, wodurch diese Probleme bedingt sind, und ob eine militärische
Unterstützung von außen zur Wiederherstellung von Staatlichkeit[3]
Erfolgsaussichten hat, diese Frage wird nicht gestellt.
Uns drängt sich der Eindruck auf, dass es der Bundesregierung, entgegen
ihren Verlautbarungen, gar nicht vorrangig um Sicherheit und Stabilität
in Mali geht, zumindest nicht um die Sicherheit der malischen
Bevölkerung. Ist etwa der ständige Sitz im Sicherheitsrat, der bei einem
Abzug der Bundeswehr in Gefahr wäre, der Grund, der für den Einsatz den
Ausschlag gibt, und nicht die hehren Ziele? Oder ist es der Wille, sich
neben der alten Kolonialmacht Frankreich keinen Einfluss in der Region
verschenken zu wollen? Mit deren Militärmission Barkhane MINUSMA eine
Arbeitsteilung eingeht: Frankreich für die direkte blutige
Terrorismusbekämpfung, MINUSMA für deren Absicherung.
Oder ist es der Grund, die europäische Sicherheit vor der Gefahr von
„Terrorismus, organisierter Kriminalität und illegaler Migration“[4]
verteidigen zu wollen, und deshalb mit Militär in diesen Ländern präsent
zu sein?
Wir halten diese Formel für schlichtweg falsch. „Illegal“ wurde die
Migration in der Sahelzone erst ab dem Zeitpunkt, als die EU mit
Finanzhilfen und Druck eine Reihe von Sahelstaaten zu scharfen
Anti-Migrationsgesetzen bewegte, bis dahin war Bewegungsfreiheit in der
ECOWAS-Zone ein Grundrecht. Und es ist eine Binsenweisheit: Je stärker
die Repression, desto stärker sind Migrant•innen auf Fluchthelfer•innen
angewiesen. Aus Transportunternehmern wurden Kriminelle gemacht.[5]
Mit einer fragwürdigen Formel kann kein Militäreinsatz begründet werden.
Wir schlagen vor, bevor Sie einem sinnlosen Militäreinsatz Ihre
Zustimmung geben, sich zuerst mit den negativen Folgen dieser
Militäreinsätze zu befassen:
- In einem Interview zog der französische Politikwissenschaftler
Marc-Antoine Pérouse de Montclos das Fazit:
„Der Krieg ist nicht zu gewinnen, denn das Grundproblem ist kein
militärisches. Die Lösung ist in erster Linie politisch, denn das
Grundproblem ist schlechte Regierungsführung und die Unfähigkeit der
Staaten, Konflikte anders als durch Repression zu lösen. […] Im Moment
hält die internationale Gemeinschaft korrupte und oft autoritäre Regime
künstlich an der Macht. Militär- und Finanzhilfe ermutigt nicht zu
Reformen, sie ist eine Art Lebensversicherung für diese Regime.“[6]
- Nach Angaben der Menschenrechtsabteilung von MINUSMA begingen
reguläre malische Sicherheitskräfte in den ersten drei Monaten des
Jahres 2020 101 außergerichtliche Hinrichtungen, 32 Fälle von
Verschwindenlassen, 32 Fälle von Folter und 116 willkürliche
Verhaftungen.[7]
Kann es sein, dass die Sicherheitskräfte, die EUTM Mali ausgebildet
hat, weniger Teil der Lösung als vielmehr Teil des Problems sind?
Es ist keine leichte Aufgabe, die Konsequenzen aus einem gescheiterten
Unternehmen zu ziehen. Auch ein Abzug will gut geplant sein – und
hoffentlich sein Ersatz durch neue Konzepte zur Unterstützung der
Selbstbestimmungsbestrebungen aus der Zivilgesellschaft, nicht korrupter
Machteliten.
Mit freundlichen Grüßen
Initiative gegen das EU-Grenzregime in Afrika
[1] Nach dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom
20.03.2020 wurden in diesem Jahr neun malische Soldat•innen und 247
Zivilist•innen getötet. Quelle:
https://minusma.unmissions.org/sites/default/files/s_2020_223_e.pdf
[2] Bericht der Bundesregierung zur Lage und zum deutschen Engagement in
Mali/Sahel, 25.03.2020, BT-Drs. 19/18080.
[3] Ebd. S. 12.
[4] So der Bundesaußenminister in seiner Rede am 13.05.2020, BT-PlPr
19/159, S. 19738 C.
[5] „Exclusiv im Ersten: Grenzen dicht! Europas Schutzwall in Afrika.“
ARD, 06.08.2018,
https://classic.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Exclusiv-im-Ersten-Grenzen-dicht/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=54868894
[6] „Der Krieg ist nicht zu gewinnen“: Interview mit Marc-Antoine
Pérouse de Montclos. In: taz, 09.03.2020,
https://taz.de/Politologe-ueber-Islamismus-in-Sahelzone/!5666568/
[7] MINUSMA Division des droits de l‘homme et de la protection: Note sur
les tendence des violations et abus de droits de l’homme 1er Janvier –
31 Mars 2020.
http://minusma.unmissions.org/sites/default/files/note_trimestrielle_sur_les_endances_des_violations_et_abus_des_droits_de_lhomme.pdf
S. 5 f.
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