Merz und Söder – Rassismus ohne Kompromisse

Martin Suchanek, Infomail 1274, 25. Januar 2024—-

CDU-Chef und Kanzlerkandidat Merz will noch vor den Bundestagswahlen eine Reihe rassistischer Gesetzesverschärfungen zur Abstimmung stellen, die das deutsche und europäische Asylrecht endgültig aushebeln und die ohnedies seit Jahren verschärfte Migrationspolitik noch restriktiver machen würde. Sein „Fünf-Punkte-Plan“ sieht vor:

Faktisches Einreiseverbot: Vollständige Kontrolle der deutschen Grenzen und Zurückweisung aller Menschen ohne gültige Papiere – einschließlich solcher, die ansonsten zu Recht Asyl vor Verfolgung suchen;
Berechtigung der Bundespolizei, eigenständig und ohne richterlichen Beschluss Haftbefehle zu beantragen, um so Menschen, die in Bahnen oder Bussen aufgegriffen werden, rascher abschieben zu können;
automatische Inhaftierung von aufgegriffenen, ausreisepflichtigen Personen – eventuell über Jahre bis zu ihrer Abschiebung;
Übernahme der Verantwortung für Abschiebungen durch Bund und Bundespolizei, damit täglich Abschiebungen stattfinden können;
Änderung des Aufenthaltsrechts, so dass Ausreisepflichtige festgehalten werden können, bis sie abgeschoben werden oder das Land freiwillig verlassen.
Diese fünf Forderungen sollen unverhandelbare Grundlage einer zukünftigen Regierungskoalition werden. In Trump’scher Manier erklärt Merz: „Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.“

CDU/CSU wollen in möglichst kurzer Zeit rund 200.000 ausreisepflichtige oder geduldete Geflüchtete abschieben oder bis zu diesem Zeitpunkt inhaftieren. Die „Remigration“ der AfD lässt grüßen, Alice Weidel greift den 5-Punkte-Plan von Merz dankend auf.

Bundestag
In der kommenden Woche sollen diese Forderungen auch als Gesetzesanträge in den Bundestag eingebracht werden. CDU/CSU, AfD, BSW und FDP haben schon angekündigt, dass sie dafür stimmen würden. Zynisch werden die Toten von Aschaffenburg missbraucht, um einen Schlussstrich unter die Migrationspolitik der Regierungen Merkel und Scholz zu ziehen. Antirassistisch war die natürlich auch nie. Doch sie sahen sich noch dazu genötigt, Gesetzesverschärfungen mit mehr oder weniger halbherzigen Integrationsversprechen zu beschönigen, und sie versuchten, einigermaßen im Rahmen der deutschen Verfassung und internationalen Rechts zu bleiben.

Doch selbst vom ansonsten gern beschworenen Rechtsstaat wollen CDU und CSU nichts wissen. „Null Toleranz und null Kompromiss“ verkündet CSU-Chef Söder, der Scharfmacher Merz nicht nachstehen will. Humanitäre Bedenken kennt die Rechtsruckallianz keine, zunehmend auch keine verfassungsrechtlichen. Schließlich ist der 5-Punkte-Plan mit grundlegenden Menschenrechten, dem Asylrecht wie auch der sonst so gern dem bürgerlichen Staat gutgeschriebenen Gewaltenteilung unvereinbar.

Das ficht die Merz’, Söders, Lindners, Wagenknechts und Weidels ebenso wenig an wie die Trumps, Kickls, Orbáns oder Melonis dieser Welt. Die sog. Brandmauer gegen die AfD erweist sich als Wandtapete, als potemkinsches Dorf der „bürgerlichen Mitte“. Eine Zusammenarbeit mit der AfD, so lässt die CDU verkünden, fände nicht statt, schließlich wäre sie ja nicht in die Formulierung der Forderungen und Anträge der Unionsparteien eingeweiht. Solche „Distanzierung“ kann die AfD verkraften, schließlich übernimmt Merz ihre Forderungen – und FDP und BSW schließen sich an und waschen ihre schmutzigen Hände in parlamentarischer Unschuld. Schließlich können sie ja nichts dafür, wenn die AfD dieselben Anträge unterstützt wie sie.

Und die Grünen und die SPD? Sie warnen Merz davor, eine „Brandmauer“ einzureißen, die ohnedies nie oder, genauer, nur in der Fiktion der Parteien der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Demokratie existierte. Statt anzuerkennen, dass sich Merz längst von dieser Fiktion verabschiedet hat, klammern sich SPD und Grüne und mit ihnen die Gewerkschaftsführungen und die linksbürgerliche Öffentlichkeit umso hartnäckiger an diese. Und sie tun dabei das, was sie immer tun. Sie wollen mit CDU/CSU „verhandeln“, einen verfassungskonformen „Kompromiss“. Eine Koalitionsbildung, so drohen sie fast, wäre bei dieser Härte der Unionsparteien schwer. Doch brechen wollen sie mit einer Regierungsperspektive „natürlich“ nicht, schließlich gilt es, die AfD zu verhindern.

Was wird vorbereitet?
In Wirklichkeit bereitet die CDU/CSU mit ihrem Gesetzesvorhaben dreierlei vor:

  1. Sie wollen damit Wähler:innen von der AfD gewinnen, gemäß dem Motto: Euer rassistisches Programm setzen auch wir um, aber wir tun das mit Gesetzesänderungen, viel Polizei und Gefängnissen –, aber ohne als „rechtsextrem“ zu gelten.
  2. Merz signalisiert, dass die Entwicklung zur Aushebelung demokratischer Rechte und zu mehr Autoritarismus, die wir schon in den letzten Jahren erlebten, auf eine neue Stufe gehoben wird, einschließlich eines offenen Verfassungsbruchs. Auch wenn der deutsche Kanzler nicht über die Machtbefugnisse eines US-amerikanischen oder französischen Präsidenten verfügt, so droht auch in Deutschland eine massive Ausweitung autoritärer Herrschaftsformen.
  3. CDU/CSU bereiten ihre Anhänger:innen und die Öffentlichkeit auf eine mögliche Koalition mit der AfD vor, die rascher kommen kann, als es noch vor kurzem möglich schien. Was bisher als „Tabubruch“ galt, soll jetzt vorbereitet werden. SPD oder Grüne müssen dann eben über jedes Koalitionsstöckchen springen – oder die Unionsparteien sehen sich „gezwungen“, doch mit der AfD zusammenzuarbeiten und zu koalieren, um „Schlimmeres“ vom deutschen Volk abzuwenden.

SPD und Grüne wirken angesichts dieser massiven Verschärfung der Gangart durch die politische Rechte, wie immer in den letzten Jahren, vollkommen hilflos. Olaf Scholz beschwört einmal mehr die „Brandmauer“, von der, sofern es sie je gab, kein Steinchen mehr steht. Innenministerin Nancy Faeser verspricht weitere rassistische „Nachbesserungen“ und beschuldigt ansonsten Bayern, nicht richtig mit den Bundesbehörden zusammenzuarbeiten und zu wenig Menschen abzuschieben. Ansonsten bewertet die SPD wie auch zahlreiche Jurist:innen den Vorstoß in Teilen als verfassungswidrig und nicht praktikabel. Die Grünen um Habeck und Baerbock stimmen in diesen Chor ein. So weit die „demokratische“ Mitte, die meint, rassistische Gesetzesvorhaben stoppen zu können, indem sie darauf verweist, dass es zu wenige Abschiebeknäste gebe, um alle Ausreisepflichtigen wegsperren zu können. Und derweil drohen auch unter der Rest-Ampel die nächsten Abschiebungen nach Afghanistan.

Proteste und Gegenwehr
Keine Frage. Die Vorschläge von Merz und Co. stellen einen weiteren, verschärften Angriff auf grundlegende demokratische Rechte von Migrant:innen und Geflüchteten sowie einen gezielten Verfassungsbruch dar. Dagegen regt sich auch Protest. Das Bündnis „Wir stehen zusammen“, zu dem Gewerkschaften, „Campact“, „Fridays for Future“ und zahlreich antirassistische und Anti-AfD-Initiativen gehören, hat für den 25. Januar zu einer Protestkundgebung vor dem Berliner Brandenburger Tor und zu einem „Lichtermeer“ gegen die AfD und den Rechtsruck aufgerufen. Allein in Berlin folgten an die 100.000 Menschen dem Aufruf, in Köln 70.000, Tausende oder Hunderte in vielen anderen Städten. Von den Tribünen kamen Appellen an die „Brandmauer“ und Aufrufe bei den Bundestagswahlen nicht nur der AfD, sondern auch Merz einen „Denkzettel“ zu verpassen. Anders als 2023 kritisierten manche Redner:innen auch die verlogene Politik der Ampel-Koalition, die selbst rassistische Gesetzesverschärfungen durchgeführt hat. Unter den Teilnehmer:innen herrschte eine ernste Stimmung vor, wo sich Hoffnung und Skepsis, Illusionen und Desillusionierung mit der „Mitte“ mischten.

Denn wie schon die riesigen Demonstrationen gegen die Remigrationspläne der AfD Anfang Januar 2023 zeigten, werden Großdemonstrationen, Unterschriftensammlungen und Appelle ans Wahlverhalten den Rechtsruck nicht aufhalten. Schon gar nicht werden sie drohenden Gesetzesverschärfungen im Bundestag stoppen.

Im Grunde können die Vorhaben von Merz nur auf einem Weg gestoppt werden. Nur durch den Aufbau einer Massenbewegung, die in den Betrieben wie auch an Schulen und Unis verankert ist, können wir über Demonstrationen und Proteste, die zur Mobilisierung sehr wichtig sind, hinausgehen. Nur so kann das einzige Kampfmittel, das dem Rechtsruck und den nächsten Gesetzesverschärfungen etwas entgegensetzen kann, Wirklichkeit werden – ein politischer Massenstreik der DGB-Gewerkschaften gegen alle Gesetzesverschärfungen und Angriffe auf demokratische Rechte.

Doch so wie Scholz und Habeck an der Fiktion der Brandmauer festhalten, weil sie nach der Bundestagswahl mit Merz regieren möchten, so wollen die Gewerkschaftsführungen mit dem deutschen Kapital und mit der nächsten Regierung kooperieren, nicht brechen. Daher halten sie auch an einer „breiten“, klassenübergreifenden, am Ende jedoch politisch machtlosen Protestbewegung fest, statt eine Einheitsfront der Arbeiter:innenklasse – also aller ihrer Organisationen – gegen den Rassismus der AfD wie der CDU (und auch der Ampelkoalition) aufzubauen. Daher müssen alle Linken, die die Maßnahmen der CDU ohne Wenn und Aber ablehnen, in den Gewerkschaften dem Rassismus den Kampf ansagen und für Massenaktionen und Streiks gegen die drohenden Gesetze eintreten. Das betrifft vor allem die Kandidat:innen und Mitglieder der Linkspartei, die sich zumindest als einzige im Bundestag vertretene Kraft nach Aschaffenburg gegen weitere Gesetzesverschärfungen ausgesprochen hat. Es gilt aber auch für die gesamte „radikale“ Linke, ob sie nun selbst zur Bundestagswahl antritt oder zur Unterstützung der Linkspartei aufruft. Sie müssen wie auch die klassenkämpferischen Kräfte die Gewerkschaften auffordern, klar gegen Merz und Co. Stellung zu beziehen, und Versammlungen in den Betrieben organisieren und Streikaktionen vorbereiten. Die laufenden Aktionen in der Tarifrunde öffentlicher Dienst können dazu genutzt werden, den Kampf für höhere Löhne mit dem gegen Rassismus zu verbinden.

Schlüsselrolle der Gewerkschaften
Wenn wir den Kampf gegen rechts stoppen wollen, müssen wir dafür eintreten, dass sich die Gewerkschaften nicht länger an der sozialpartnerschaftlichen Verwaltung der Krise mitbeteiligen! Sie müssen stattdessen für echte Verbesserungen kämpfen, gegen Sparpolitik und Sozialabbau und diesen Kampf aktiv mit jenem gegen Rassismus verbinden.

Das bedeutet auch, dafür einzustehen, dass Geflüchtete in die Gewerkschaften integriert werden, und sich offen gegen alle Abschiebungen und Abkommen, die die Festung Europa aufrechterhalten, auszusprechen oder nicht davor zurückzuscheuen, Enteignung unter Kontrolle der Beschäftigten als Perspektive auf die Tagesordnung zu setzen, wenn einem/r entgegnet wird, dass leider kein Geld da ist für Sozialausgaben. Doch sowas fällt nicht einfach so vom Himmel, es muss praktisch erkämpft werden. Wir treten daher für den Aufbau einer klassenkämpferischen, revolutionären Organisation ein. Wenn Ihr Interesse habt, für so eine Politik einzustehen, dann meldet Euch bei uns!

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