Frauen führen den langen Protestmarsch gegen den Genozid in Belutschistan an
Kraftvoll, laut und mit einem langem Atem: Frauen führen den langen Protestmarsch gegen den Genozid in Belutschistan an
Text auf Deutsch und Englisch
Kraftvoll, laut und mit einem langem Atem: Frauen führen den langen Protestmarsch gegen den Genozid in Belutschistan an
Tausende Aktivist:innen laufen gegen Genozid, Verschleppungen und Unterdrückung von Turbat (Kech) bis nach Islamabad (Hauptstadt Pakistan. Angeführt wird der Protest von den Frauen des Baloch Yakjehti Committee (BYC)
In Belutschistan gehen seit November 2023 Tausende von Frauen, deren Familienangehörigen (meist Männer) von der pakistanischen Armee verschleppt wurden, auf die Straße und liefen einen Protestmarsch von mindestens 1 600 Kilometer vom südlichen Kech-Distrikt nahe der iranischen Grenze bis nach Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. Als der Protestmarsch Islamabad am 20. Dezember erreichte, wurden er von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern empfangen. Pakistans unabhängige Menschenrechtskommission und Amnesty International verurteilten das gewaltsame Vorgehen.
Die aktuelle Protestbewegung und der der lange Marsch wurden ausgelöst durch die Ermordung des Belutschischen Jugendlichen Balaach Mola Bakhsh in Turbat, dem Hauptquartier des Bezirks Kech, einer von militantem Widerstand geprägten Region. Er wurde von den pakistanischen „Anti-Terror-Kräften“ CTD (Police Counter Terrorism Department) verdächtigt, Widerstandskämpfer (in Pakistan als „Terrorist“ gelabelt) zu sein und daraufhin aus seinem Haus verschleppt. Ohne Gerichtsurteil, sondern noch in Untersuchungshaft wurde Balaach schließlich erschossen. Sieben Tage nach seiner Ermordung wurde er in Anwesenheit von Tausenden von Menschen beigesetzt. Noch nie in der Geschichte von Turbat hatte es ein solches Begräbnis gegeben. Balaachs Ermordung triggerte die Wut über die omnipräsente Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Repression gegen Belutsch:innen und führte zu anhaltenden Protesten in Turbat, die schließlich in den Protestmarsch mündeten. Der Protestmarsch und auch das anschließende Protestcamp in Islamabad wurden hauptsächlich von Frauen des Baloch Yakjehti Committee (BYC) angeführt und es sind überwiegend Frauen, die ihre Stimme erheben.
Ein feministisches Uprising ist im vergangenen Jahr viel sichtbarer geworden: „gegen Autoritarismus, Tyrannei und Mullahismus (Regierung oder Herrschaft von Mullahs oder religiösen Klerikern) (…). Afghanische, Belutschische, Sudanesische und Iranische Frauen standen im Mittelpunkt des Widerstands im Jahr 2023 und spielten eine zentrale Rolle bei dem kollektiven Streben nach Veränderung. Das liegt daran, dass die Frauen die Hauptlast des Autoritarismus und des Mullahismus in dieser Region tragen“, wird auch in The Diplomat (internationales online-Magazin, das über die Indo-Asien-Region berichtet) geschrieben.
Diesem langen Protestmarsch haben sich unterwegs Hunderte angeschlossen oder die Marschierenden in den Dörfern unterwegs – von Turbat über Quetta bis nach Islamabad – mit Schlafplätzen und Essen etc. versorgt. In Belutschistan wurde er allgemein mit großer Solidarität unterstützt. Zwar war die Ermordung des jungen Balaachs Auslöser der Protestwelle, jedoch adressiert dieser Marsch eine Jahrzehnte lange Unterdrückungsgeschichte der Belutschischen Menschen und ist Ausdruck einer kollektiven Wut und Frustration gegenüber der repressiven Politik des Pakistanischen Staates gegen die Belutschische Bevölkerung. Vor allem politisch Aktive sind alltäglich mit Gewalt konfrontiert: Unterdrückung, Folter, tausende sind schon verschwunden /wurden entführt oder ermordet; ihre Familien erfahren kollektive Bestrafung durch die pakistanische Armee. All das zwingt viele Menschen ins Exil.
Leider wissen viele europäische Linke nichts von dem schon lange anhaltenden, kontinuierlichen Widerstand und den von unten organisierten Kämpfen gegen Unterdrückung, Repressionen, Kolonialismus und Gewalt – sowohl in Belutschistan selber, als auch durch Aktivist:innen im Exil.
Angekommen in Islamabad, wurde ein großes Protestcamp errichtet, dem sich auch nach mehreren Wochen des Bestehens noch immer Familien angeschlossen haben. Es kamen viele Familien, Angehörige und Solidarische Personen dort zusammen, die fordern, dass sich endlich aktiv mit den vermissten Personen auseinandergesetzt wird. Viele Menschen, die Teil des Protestmarsches waren, haben Angehörige, Kinder, Eltern, Geschwister, Freund:innen etc., die von der Pakistanischen Armee oder dem ISI (Pakistanischen Geheimdienst) verschleppt wurden und seit Jahren vermisst werden.
Seitdem das Protestcamp in Islamabad besteht, reagiert der Pakistanische Staat darauf mit Gewalt, Repression und Verhaftungen. Hunderte teilnehmende Aktivist:innen wurden festgenommen; auch Sprecher:innen und anführende Personen wie Mahrang Baloch. Sie wurden von der Polizei geschlagen und viele auch gefoltert. Es wurde Infrastruktur wie Lautsprecher entfernt und Menschen in Busse mit Zwang zurück nach Quetta geschickt. Sprecherin des Protests, Mahrang Baloch, sagt in The Diplomat: „Wir marschierten über 1600 Kilometer von Turbat, nahe der iranischen Grenze, nach Islamabad und veranstalteten ein Sit-in, in der Hoffnung, dass das Problem gelöst werden würde. Als wir jedoch mit 300 Familien in Islamabad ankamen, mussten wir feststellen, dass der Staat weder bereit war, zuzuhören, noch daran interessiert war, das Problem der Vermissten anzugehen. Stattdessen ist er darauf vorbereitet, uns zu konfrontieren, anzuklagen und, wenn nötig, zu inhaftieren, weil wir friedlich protestiert haben.“
Diese beeindruckende Kraft und das Durchhaltevermögen der Aktivist:innen, die für die Freiheit Belutschistans kämpfen – und das seit Generationen – kommt nicht aus dem Nichts. All der Widerstand in seinen verschiedenen Ausformungen ist erwachsen aus einer jahrzehntelangen Geschichte der Unterdrückung, Kolonisierung, Ermordung und Verschleppung Tausender.
Die Verschleppungen/ das Verschwindenlassen (Abduction) von hauptsächlich Belutschischen Männern reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Doch seit Anfang der 2000er Jahre sind das gewaltsame Verschwindenlassen und „außergerichtliche“ Tötungen (also Hinrichtungen ohne jegliche Gerichtsprozesse) zu einem Instrument der staatlichen „Aufstandsbekämpfungspolitik“ in Belutschistan durch den Pakistanischen Staat geworden. In diesen Jahrzehnten haben die betroffenen Familien der Vermissten zwar hin und wieder Mitgefühl, nie aber Gerechtigkeit erfahren.
Nach Angaben des HRCB (Human Rights Council of Balochistan), dem Menschenrechtsrat Belutschistans, einer Organisation, die sich für Menschenrechte einsetzt, werden täglich durchschnittlich mehr als zwei Personen entführt und getötet. Aus dem Jahresbericht für 2023 geht hervor, dass in Belutschistan 586 Menschen gewaltsam verschwunden sind und 504 ihr Leben verloren haben. Dafür werden vor allem das Frontier Corps (eine paramilitärische Einheit des Innenministeriums) und der Geheimdienst ISI verantwortlich gemacht.
Die Widerstands- und Befreiungsbewegung in Belutschistan – geht quer durch alle gesellschaftlichen Schichten,– von Menschenrechtsgruppen, über Studierendengruppen bis hin zu den Kämpfer*innen, die Belutschistan militant verteidigen. Um einige der politischen Widerstandsgruppen zu nennen: BSO Azad (Baloch Student Organization); BYC (Baloch Yakjehti Committee), BNM (Baloch National Movement) – eine autonome politische Gruppe, die für die Unabhängigkeit Belutschistans kämpft – BLF (Baloch Liberation Front) und BLA (Baloch Liberation Army) – der militante Arm der Befreiungsbewegungen.
Ähnlich wie in Kurdistan ist auch die Befreiungsbewegung in Belutschistan eher säkular und sozialistisch geprägt.
Nicht nur in Belutschistan selber kämpfen Menschen um Autonomie und Befreiung, sondern auch Aktivist*innen, die ins Exil gezwungen wurden und somit weltweit verteilt sind, kämpfen von dort oft weiter. Aber auch im Ausland schweben sie in ständiger Gefahr, werden vom pakistanischen Geheimdienst überwacht und einige, wie z.B. Karima Baloch und Sajid Hussein, sogar ermordet. Letztere Todesfälle ereigneten sich beide im Jahr 2020 in Kanada und Schweden.
Auffällig ist, wie wenig in den westlichen Medien über die Situation in Belutschistan und insbesondere diesen Widerstand berichtet wird. Belutschistan gilt als „Armenhaus“ Pakistans, obwohl dort immense Bodenschätze liegen. Allerdings bekommt die dortige Bevölkerung davon nichts zu spüren. Stattdessen arbeiten selbst Kinder unter miserabelsten Bedingungen in den Kohleminen Belutschistans. Pakistans diktatorische Regierung hält alle Informationen zurück und unterhält beste Beziehungen zu China, aber auch zu den westlichen Staaten. Die geostrategische Bedeutung Pakistans wächst nicht erst, seit China mit dem Bau der „neuen Seidenstraße“ begonnen hat. Diese neue Seidenstraße führt quer durch Belutschistan bis zur Hafenstadt Gwadar, das China zu einem Tiefseehafen ausgebaut und durch die Kontrolle des Fischfangs die gesamte einheimische Fischerei zum Erliegen gebracht hat. Für den Bau werden ganze Ortschaften zerstört und die ansässige Bevölkerung vertrieben, auch davon ist in den westlichen Medien kaum etwas zu lesen. Da China extra Arbeiter:innen aus China bringt und auch alle Waren, hat die ansässige Bevölkerung außer noch mehr Unterdrückung und Vertreibung nichts von der Neuen Seidenstraße. Auch zu den verheerenden Überschwemmungen im letzten Jahr, die zu einem Großteil Belutschistan getroffen hatten und katastrophale Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte, gab es hier höchstens eine mediale Randnotiz.
Und jetzt gehen tausende auf die Straße – allen voran die Frauen des Baloch Yakjehti Committee – und noch immer wird in den westlichen Medien kaum Notiz davon genommen.
Der Lange Marsch zeigt eine neue Qualität des Belutschischen Widerstands. Die Belutsch:innen, die den Marsch angeführt haben, leisten trotz aller Gewalt, Repression und Bedrohungen Widerstand.
Der Lange Marsch wird auch in großem Umfang von anderen unterdrückten Nationen unterstützt, darunter von der Paschtunischen Tahafuz-Bewegung und anderen Organisationen unterdrückter Ethnien/Gesellschaften. Auch hat der Lange Marsch erstmals zumindest in begrenztem Umfang Unterstützung im Punjab erhalten.
Gewalt und Unterdrückung in Belutschistan hat die Proteste nicht gebrochen, sondern vielmehr den Geist und den Mut des Widerstandes in der Bevölkerung gestärkt und die Angst überwunden. In diesen Gebieten entsteht eine neue politische Realität, die die bestehende sogenannte politische Ordnung ins Wanken bringt.
Die aktuelle Welt brennt durch imperialistischen Kriege und ihre globalen Zwangsökonmomie ,welche die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen und deren Umwelt überall, aber vor allem im globalen Süden verursacht. Doch in den westlichen Medien gehen Genozide wie sie in Belutschistan, Kurdistan, Sudan oder Palästina passieren, einfach unter.
Die Öffentlichkeit hält Augen und Ohren verschlossen. In allen Kriegen und Konflikten sind insbesondere Frauen der Realität der Gewalt doppelt ausgesetzt. Dieses Schweigen der Staaten und der öffentlichen Medien bedeutet, dass die Situation in Belutschistan und insbesondere die Gewalt gegen Frauen unbekannt bleibt und fortgesetzt wird. In Rojava, und allen Kurdischen Gebiete kennen wir die Brutalität der Nationalstaaten und ihre patriarchale Mentalität der Besatzung und Unterdrückung. Wir feiern und unterstützen den mutigen Kampf von Belutsch:innen für ihre Freiheit.
Von Kurdistan bis Belutschistan und überall, wo Menschen gegen Ausbeutung, Besatzung und Unterdrückung kämpfen, werden wir uns weiterhin für sie einsetzen und den Internationalismus zur Grundlage für ein grenzenloses, freies Leben und Frieden ohne Herrschaft machen.
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was das für uns als internationalistische Linke bedeutet!Es gilt in den Basisbewegungen einen historischen Umbruch der Aufstände zu erkennen, der seit Jahren vor unseren Augen in Belutschistan, Kurdistan und so vielen weiteren Orten unserer Welt passiert und nicht wahrgenommen wird.
Autor:innen:
Aktivist:innen des AK Asyl Göttingen. Der AK Asyl Göttingen ist eine seit über 40 Jahren existierende antirassistische Gruppe, die vor allem zu den Themen Asyl, Migration, Rassismus und Internationalismus arbeitet. Um den AK gibt es einige Bündnisse gegen Abschiebungen und Rassismus sowie internationalistische Netzwerke, die viel und aktiv im Austausch mit Betroffenen sind. Wir versuchen, diese Geschichten aus der Unsichtbarkeit zu holen und gemeinsam mit Betroffenen zu überlegen, wie Themen öffentlich und skandalisiert werden können.
Kontakt: akasylgoe@emdash.org
Quellen.
https://www.akweb.de/gesellschaft/ungehoerter-widerstand/
https://thediplomat.com/2023/12/women-are-leading-an-unprecedented-protest-movement-in-balochistan/
https://en.wikipedia.org/wiki/Baloch_Long_March
https://thebalochistanpost.net/
https://balochistantimes.com/
https://thediplomat.com/2023/12/balochistans-long-march-protest/
Tausende Aktivist:innen laufen gegen Genozid, Verschleppungen und Unterdrückung von Turbat (Kech) bis nach Islamabad (Hauptstadt Pakistan. Angeführt wird der Protest von den Frauen des Baloch Yakjehti Committee (BYC)
In Belutschistan gehen seit November 2023 Tausende von Frauen, deren Familienangehörigen (meist Männer) von der pakistanischen Armee verschleppt wurden, auf die Straße und liefen einen Protestmarsch von mindestens 1 600 Kilometer vom südlichen Kech-Distrikt nahe der iranischen Grenze bis nach Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. Als der Protestmarsch Islamabad am 20. Dezember erreichte, wurde er von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern empfangen. Pakistans unabhängige Menschenrechtskommission und Amnesty International verurteilten das gewaltsame Vorgehen.
Die aktuelle Protestbewegung und der der lange Marsch wurden ausgelöst durch die Ermordung des Belutschischen Jugendlichen Balaach Mola Bakhsh in Turbat, dem Hauptquartier des Bezirks Kech, einer von militantem Widerstand geprägten Region. Er wurde von den pakistanischen „Anti-Terror-Kräften“ CTD (Police Counter Terrorism Department) verdächtigt, Widerstandskämpfer (in Pakistan als „Terrorist“ gelabelt) zu sein und daraufhin aus seinem Haus verschleppt. Ohne Gerichtsurteil, sondern offiziell noch in Untersuchungshaft wurde Balaach schließlich erschossen. Sieben Tage nach seiner Ermordung wurde er in Anwesenheit von Tausenden von Menschen beigesetzt. Noch nie in der Geschichte von Turbat hatte es ein solches Begräbnis gegeben. Balaachs Ermordung triggerte die Wut über die omnipräsente Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Repression gegen Belutsch:innen und führte zu anhaltenden Protesten in Turbat, die schließlich in dem Protestmarsch mündeten.
Der Protestmarsch und auch das anschließende Protestcamp in Islamabad wurden hauptsächlich von Frauen des Baloch Yakjehti Committee (BYC) angeführt und es sind überwiegend Frauen, die ihre Stimme erheben.
Ein feministisches Uprising ist im vergangenen Jahr viel sichtbarer geworden: „gegen Autoritarismus, Tyrannei und Mullahismus (Regierung oder Herrschaft von Mullahs oder religiösen Klerikern) (…). Afghanische, Belutschische, Sudanesische und Iranische Frauen standen im Mittelpunkt des Widerstands im Jahr 2023 und spielten eine zentrale Rolle bei dem kollektiven Streben nach Veränderung. Das liegt daran, dass die Frauen die Hauptlast des Autoritarismus und des Mullahismus in dieser Region tragen“, wird auch in The Diplomat (internationales online-Magazin, das über die Indo-Asien-Region berichtet) geschrieben.
Diesem langen Protestmarsch haben sich unterwegs Hunderte angeschlossen oder die Marschierenden in den Dörfern unterwegs – von Turbat über Quetta bis nach Islamabad – mit Schlafplätzen und Essen etc. versorgt. In Belutschistan wurde der Protest allgemein mit großer Solidarität unterstützt. Zwar war die Ermordung des jungen Balaachs Auslöser der Protestwelle, jedoch adressiert dieser Marsch eine Jahrzehnte lange Unterdrückungsgeschichte der Belutschischen Menschen und ist Ausdruck einer kollektiven Wut und Frustration gegenüber der repressiven Politik des Pakistanischen Staates gegen die Belutschische Bevölkerung. Vor allem politisch Aktive sind alltäglich mit Gewalt konfrontiert: Unterdrückung, Folter, tausende sind schon verschwunden /wurden entführt oder ermordet; ihre Familien erfahren kollektive Bestrafung durch die pakistanische Armee. All das zwingt viele Menschen ins Exil.
Leider wissen viele europäische Linke nichts von dem schon lange anhaltenden, kontinuierlichen Widerstand und den von unten organisierten Kämpfen gegen Unterdrückung, Repressionen, Kolonialismus und Gewalt – sowohl in Belutschistan selber, als auch durch Aktivist:innen im Exil.
Angekommen in Islamabad, wurde ein großes Protestcamp errichtet, dem sich auch nach mehreren Wochen des Bestehens noch immer Familien angeschlossen haben. Es kommen viele Familien, Angehörige und Solidarische Personen dort zusammen, die fordern, dass sich endlich aktiv mit den vermissten Personen auseinandergesetzt wird. Viele Menschen, die Teil des Protestmarsches waren, haben Angehörige, Kinder, Eltern, Geschwister, Freund:innen etc., die von der Pakistanischen Armee oder dem ISI (Pakistanischen Geheimdienst) verschleppt wurden und seit Jahren vermisst werden.
Seitdem das Protestcamp in Islamabad besteht, reagiert der Pakistanische Staat darauf mit Gewalt, Repression und Verhaftungen. Hunderte teilnehmende Aktivist:innen wurden festgenommen; auch Sprecher:innen und anführende Personen wie Mahrang Baloch. Sie wurden von der Polizei geschlagen und viele gefoltert. Es wurde Infrastruktur wie Lautsprecher entfernt und Menschen in Busse mit Zwang zurück nach Quetta geschickt. Sprecherin des Protests, Mahrang Baloch, sagt in The Diplomat: „Wir marschierten über 1600 Kilometer von Turbat, nahe der iranischen Grenze, nach Islamabad und veranstalteten ein Sit-in, in der Hoffnung, dass das Problem gelöst werden würde. Als wir jedoch mit 300 Familien in Islamabad ankamen, mussten wir feststellen, dass der Staat weder bereit war, zuzuhören, noch daran interessiert war, das Problem der Vermissten anzugehen. Stattdessen ist er darauf vorbereitet, uns zu konfrontieren, anzuklagen und, wenn nötig, zu inhaftieren, weil wir friedlich protestiert haben.“
Diese beeindruckende Kraft und das Durchhaltevermögen der Aktivist:innen, die für die Freiheit Belutschistans kämpfen – und das seit Generationen – kommt nicht aus dem Nichts. All der Widerstand in seinen verschiedenen Ausformungen ist erwachsen aus einer jahrzehntelangen Geschichte der Unterdrückung, Kolonisierung, Ermordung und Verschleppung Tausender.
Die Verschleppungen/ das Verschwindenlassen (Abduction) von hauptsächlich Belutschischen Männern reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Doch seit Anfang der 2000er Jahre sind das gewaltsame Verschwindenlassen und „außergerichtliche“ Tötungen (also Hinrichtungen ohne jegliche Gerichtsprozesse) zu einem Instrument der staatlichen „Aufstandsbekämpfungspolitik“ in Belutschistan durch den Pakistanischen Staat geworden. In diesen Jahrzehnten haben die betroffenen Familien der Vermissten zwar hin und wieder Mitgefühl, nie aber Gerechtigkeit erfahren.
Nach Angaben des HRCB (Human Rights Council of Balochistan), dem Menschenrechtsrat Belutschistans, einer Organisation, die sich für Menschenrechte einsetzt, werden täglich durchschnittlich mehr als zwei Personen entführt und getötet. Aus dem Jahresbericht für 2023 geht hervor, dass in Belutschistan 586 Menschen gewaltsam verschwunden sind und 504 ihr Leben verloren haben. Dafür werden vor allem das Frontier Corps (eine paramilitärische Einheit des Innenministeriums) und der Geheimdienst ISI verantwortlich gemacht.
Die Widerstands- und Befreiungsbewegung in Belutschistan – geht quer durch alle gesellschaftlichen Schichten,– von Menschenrechtsgruppen, über Studierendengruppen bis hin zu den Kämpfer*innen, die Belutschistan militant verteidigen. Um einige der politischen Widerstandsgruppen zu nennen: BSO Azad (Baloch Student Organization); BYC (Baloch Yakjehti Committee), BNM (Baloch National Movement) – eine autonome politische Gruppe, die für die Unabhängigkeit Belutschistans kämpft – BLF (Baloch Liberation Front) und BLA (Baloch Liberation Army) – der militante Arm der Befreiungsbewegungen.
Ähnlich wie in Kurdistan ist auch die Befreiungsbewegung in Belutschistan eher säkular und sozialistisch geprägt.
Nicht nur in Belutschistan selber kämpfen Menschen um Autonomie und Befreiung, sondern auch Aktivist*innen, die ins Exil gezwungen wurden und somit weltweit verteilt sind, kämpfen von dort oft weiter. Aber auch im Ausland schweben sie in ständiger Gefahr, werden vom pakistansichen Geheimdienst überwacht und wie z.B. Karima Baloch ermordet.
Auffällig ist, wie wenig in den westlichen Medien über die Situtation in Belutschistan und insbesondere diesen Widerstand berichtet wird. Belutschistan gilt als „Armenhaus“ Pakistans, obwohl dort immense Bodenschätze liegen. Allerdings bekommt die dortige Bevölkerung davon nichts zu spüren. Stattdessen arbeiten selbst Kinder unter miserabelsten Bedingungen in den Kohleminen Belutschistans. Pakistans diktatorische Regierung hält alle Informationen zurück und unterhält beste Beziehungen zu China, aber auch zu den westlichen Staaten. Die geostrategische Bedeutung Paktistans wächst nicht erst, seit China mit dem Bau der „neuen Seidenstrasse“ begonnen hat. Diese neue Seidenstrasse führt quer durch Belutschistan bis zur Hafenstadt Gwadar, das China zu einem Tiefseehafen ausgebaut und durch die Kontrolle des Fischfangs die gesamte einheimische Fischerei zum Erliegen gebracht hat. Für den Bau werden ganze Ortschaften zerstört und die ansässige Bevölkerung vertrieben, auch davon ist in den westlichen Medien kaum etwas zu lesen. Da China extra Arbeiter:innen aus China bringt und auch alle Waren, hat die ansässige Bevölkerung außer noch mehr Unterdrückung und Vertreibung nichts von der Neuen Seidenstrasse. Auch zu den verheerenden Überschwemmungen im letzten Jahr, die zu einem Großteil Belutschistan getroffen hatten und katastrophale Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte, gab es hier höchstens eine mediale Randnotiz.
Und jetzt gehen tausende auf die Strasse, allen voran die Frauen und noch immer wird in den westlichen Medien kaum Notiz davon genommen.
Der Lange Marsch zeigt eine neue Qualität des Belutschischen Widerstands. Die Belutsch:innen, die den Marsch angeführt haben, leisten trotz aller Gewalt, Repression und Bedrohungen Widerstand.
Der Lange Marsch wird auch in großem Umfang von anderen unterdrückten Nationen unterstützt, darunter von der Paschtunischen Tahafuz-Bewegung und anderen Organisationen unterdrückter Ethnien/Gesellschaften. Auch hat der Lange Marsch erstmals zumindest in begrenztem Umfang Unterstützung im Punjab erhalten.
Gewalt und Unterdrückung in Belutschistan hat die Proteste nicht gebrochen, sondern vielmehr den Geist und den Mut des Widerstandes in der Bevölkerung gestärkt und die Angst überwunden. In diesen Gebieten entsteht eine neue politische Realität, die die bestehende sogenannte politische Ordnung ins Wanken bringt.
Die aktuelle Welt brennt durch imperialistischen Kriege und ihre globalen Zwangsökonmomie ,welche die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen und deren Umwelt überall, aber vor allem im globalen Süden verursacht. Doch in den westlichen Medien gehen Genozide wie sie in Belutschistan, Kurdistan, Sudan oder Palästina passieren, einfach unter.
Die Öffentlichkeit hält Augen und Ohren verschlossen. In allen Kriegen und Konflikten sind insbesondere Frauen der Realität der Gewalt doppelt ausgesetzt. Dieses Schweigen der Staaten und der öffentlichen Medien bedeutet, dass die Situation in Belutschistan und insbesondere die Gewalt gegen Frauen unbekannt bleibt und fortgesetzt wird. In Rojava, und allen Kurdischen Gebiete kennen wir die Brutalität der Nationalstaaten und ihre patriarchale Mentalität der Besatzung und Unterdrückung. Wir feiern und unterstützen den mutigen Kampf von Belutsch:innen für ihre Freiheit.
Von Kurdistan bis Belutschistan und überall, wo Menschen gegen Ausbeutung, Besatzung und Unterdrückung kämpfen, werden wir uns weiterhin für sie einsetzen und den Internationalismus zur Grundlage für ein grenzenloses, freies Leben und Frieden ohne Herrschaft machen.
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was das für uns als internationalistische Linke bedeutet! Es gilt in den Basisbewegungen einen historischen Umbruch der Aufstände zu erkennen, der seit Jahren vor unseren Augen in Belutschistan, Kurdistan und so vielen weiteren Orten unserer Welt passiert und nicht wahrgenommen wird.
Quellen.
https://www.akweb.de/gesellschaft/ungehoerter-widerstand/
https://thediplomat.com/2023/12/women-are-leading-an-unprecedented-protest-movement-in-balochistan/
https://en.wikipedia.org/wiki/Baloch_Long_March
https://thebalochistanpost.net/
https://balochistantimes.com/
https://thediplomat.com/2023/12/balochistans-long-march-protest/
Englisch:
Powerful, loud and with a long breath: Baloch Yakjehti Committee (BYC) women leading the long protest march against genocide in Balochistan
Thousands of activists walk against genocide, abductions and oppression from Turbat (Kech) to Islamabad (capital of Pakistan)
In Balochistan, thousands of women whose family members (mostly men) have been abducted by the Pakistani army have taken to the streets since November 2023 and walked a protest march of at least 1,600 kilometers from the southern Kech district near the Iranian border to Islamabad, the capital of Pakistan. When the protest march reached Islamabad on December 20, it was met by police with tear gas and water cannons. Pakistan’s Independent Human Rights Commission and Amnesty International condemned the violent crackdown.
The current protest movement and the long march were triggered by the murder of Baloch youth Balaach Mola Bakhsh in Turbat, the headquarters of Kech district, a region characterized by militant resistance. He was suspected of being a resistance fighter (labeled as a „terrorist“ in Pakistan) by the Pakistan’s „Police Counter Terrorism Department (CTD)“ and was subsequently abducted from his home. Without a court verdict, but still in custody, Balaach was finally shot dead. Seven days after his murder, he was buried in the presence of thousands of people. Never before in the history of Turbat had there been such a funeral. Balaach’s assassination triggered anger over the omnipresent injustice, oppression and repression against Baloch people and led to ongoing protests in Turbat, which eventually culminated in the protest march. The protest march and the subsequent protest camp in Islamabad are mainly led by Baloch Yakjehti Committee (BYC)and it is mostly women who raise their voices.
Hundreds joined this long protest march along the way or provided the marchers in the villages along the way – from Turbat via Quetta to Islamabad – with places to sleep and food, etc. In Balochistan, he was generally supported with great solidarity. While the killing of young Balaach was the trigger for the wave of protests, this march addresses a decades-long history of oppression of the Baloch people and is an expression of collective anger and frustration against the repressive policies of the Pakistani state against the Baloch people. Politically active people in particular are confronted with violence on a daily basis: Repression, torture, thousands have already disappeared/have been abducted or murdered; their families experience collective punishment at the hands of the Pakistani army. All this forces many people into exile. Many European leftists are also unaware of the long-standing, continuous resistance and the struggles organized from below against oppression, repression, colonialism and violence – both in Balochistan itself and by activists in exile.
After arriving in Islamabad, a large protest camp was set up, which is still being joined by families even after several weeks of existence. Many families, relatives and people in solidarity are gathering there to demand that the missing persons are finally dealt with actively. Many people who were part of the protest march have relatives, children, parents, siblings, friends, etc. who were abducted by the Pakistani army or the ISI (Pakistani secret service) and have been missing for years.
Since the protest camp in Islamabad began, the Pakistani state has responded with violence, repression and arrests. Hundreds of participating activists have been arrested, including speakers and leaders such as Mahrang Baloch. They were beaten by the police and many were tortured. Infrastructure such as loudspeakers were removed and people were forcibly sent back to Quetta on buses. Spokesperson of the protest, Mahrang Baloch, says in The Diplomat: „We marched over 1600 kilometers from Turbat, near the Iranian border, to Islamabad and staged a sit-in, hoping that the problem would be solved. However, when we arrived in Islamabad with 300 families, we found that the state was neither willing to listen nor interested in addressing the issue of the missing. Instead, it is prepared to confront, charge and, if necessary, imprison us for protesting peacefully.“
The impressive strength and perseverance of the activists who have been fighting for the freedom of Balochistan for generations did not come out of nowhere. All the resistance in its various forms has grown out of a decades-long history of oppression, colonization, murder and abduction of thousands.
The abductions of mainly Baloch men date back to the 1970s. However, since the early 2000s, enforced disappearances and „extrajudicial“ killings (i.e. executions without any trial) have become an instrument of the state’s „counter-insurgency“ policy in Balochistan by the Pakistani state. During these decades, the affected families of the missing have received sympathy from time to time, but never justice.
According to the Human Rights Council of Balochistan, an organization advocating for people’s rights, an average of over two individuals are abducted and killed daily. The annual report for 2023 reveals that 586 people were forcibly disappeared, and 504 lost their lives in Balochistan. The Frontier Corps (a paramilitary unit under the Ministry of Interior) and the intelligence agency ISI are held particularly responsible for this.
The resistance began to gain strength as early as 2002, when the Pakistani government changed the electoral requirements in Balochistan. A university degree or a degree from a religious school was required to stand for election. As a result, important Baloch leaders were excluded from the election( what does this mean). The resistance and liberation movement in Balochistan cuts across all sections of society, from human rights groups to student groups to militants defending Balochistan. To name a few of the political resistance groups: BSO Azad (Baloch Student Organization); BYC (Baloch Yakjehti Committee) – an autonomous political group fighting for the independence of Balochistan – BLF (Baloch Liberation Front) and BLA (Baloch Liberation Army) – the militant arm of the liberation movements.
Similar to Kurdistan, the liberation movement in Balochistan is rather secular and socialist in nature.
It is not only in Balochistan itself that people are fighting for autonomy and liberation; activists who have been forced into exile and are therefore spread around the world often continue to fight from there. But they are also in constant danger abroad, being monitored by Pakistan’s secret service and murdered, such as Karima Baloch.
It is striking how little is reported in the Western media about the situation in Balochistan and this resistance in particular. Balochistan is considered the „poorhouse“ of Pakistan, even though it is home to immense natural resources. However, the local population does not feel any of this. Instead, even children work in the coal mines of Balochistan under the most miserable conditions. Pakistan’s dictatorial government withholds all information and maintains excellent relations with China, but also with Western countries. Pakistan’s geostrategic importance has not only been growing since China began building the „new Silk Road“. This new Silk Road runs right through Balochistan to the port city of Gwadar, which China has developed into a deep-sea port and brought the entire local fishing industry to a standstill by controlling fishing. Entire villages are being destroyed for the construction and the local population is being displaced, which is also hardly mentioned in the Western media. Since China is bringing in extra workers from China and all the goods, the local population has nothing to gain from the New Silk Road apart from even more oppression and displacement. Even the devastating floods last year, which affected a large part of Balochistan and had a catastrophic impact on the population, received at most a marginal media mention here.
And now thousands are taking to the streets, especially the women, and the Western media are still hardly taking any notice.
The Long March shows a new quality of Baloch resistance. The Baloch people who led the march are resisting despite all the violence, repression and threats.
The Long March is also widely supported by other oppressed nations, including the Pashtun Tahafuz Movement and other organizations of oppressed ethnicities/societies. The Long March has also received at least limited support in Punjab for the first time.
Violence and oppression in Balochistan has not broken the protests but rather strengthened the spirit and courage of resistance among the people and gradually overcame fear. A new political reality is emerging in these areas that is shaking the existing so-called political order.
The current world is on fire due to imperialist wars and their global forced economy, which is causing the destruction of the livelihoods of millions of people and their environment everywhere, but especially in the global South. But in the Western media, genocides such as those happening in Balochistan, Kurdistan, Sudan or Palestine are simply ignored.
In Balochistan, there have been ongoing human rights violations by the occupying nation states for decades, particularly by the state of Pakistan
and Iran. Nevertheless, there is silence about it at the international level and in public opinion. The public keeps its eyes and ears closed. In all wars and conflicts, women in particular are doubly exposed to the reality of violence. This silence of the states and the public media means that the situation in Balochistan and especially the violence against women remains unknown and continues. In Rojava, and all Kurdish areas, we know the brutality of nation states and their patriarchal mentality of occupation and oppression. We celebrate and support the courageous struggle of the Baloch people for their freedom.
From Kurdistan to Balochistan and everywhere where people struggle against exploitation, occupation and oppression, we will continue to stand up for them and make internationalism the basis for a borderless, free life and peace without domination.
We must come to terms with what this means for us as an internationalist left! We need to recognize in the grassroots movements a historic upheaval of uprisings that has been happening before our eyes for years in Balochistan, Kurdistan and so many other places in our world and has gone unnoticed.
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