Der Anschlag von Magdeburg
Der mörderische Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg vom 20. Dezember forderte bisher 5 Todesopfer, 41 Schwerst-, 90 Schwer- und 80 Leichtverletzte.
Unser Mitgefühl, unsere Trauer gilt den Opfern. Es handelt sich um Menschen, Beschäftigte wie Besucher:innen, die entweder ihrer Arbeit nachgingen oder einfach nur feiern wollten. Deren Ermordung ist durch nichts zu rechtfertigen.Die Empörung, Trauer und Wut ihrer Angehörigen sind nur zu verständlich.
Der mutmaßliche Täter und seine reaktionäre Verschwörungstheorie
Der mutmaßliche Täter Taleb Al A. raste am Freitagabend mit einem PKW in die Menge und tötete und verletzte willkürlich um die 200 Menschen.
Erste Spekulationen gingen vorschnell und einem rassistischen Stereotyp folgend davon aus, dass es sich um einen islamistischen Anschlag handeln würde. Doch das war er sicher nicht. Taleb Al A. war vielmehr bekennender Antiislamist und Atheist. Der 50-jährige Arzt lebt seit 2006 in Deutschland, arbeitet als Psychiater und Psychotherapeut und hat einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Er betätigte sich als Fluchthelfer, kritisierte die extreme Unterdrückung von Frauen in Saudi-Arabien scharf und bezeichnete sich selbst in einem Interview mit der FAZ aus dem Jahr 2019 als „der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte“.
Zugleich scheint der mutmaßliche Attentäter von Magdeburg zunehmend seinen eigenen reaktionären Wahn entwickelt zu haben, der der rechten Verschwörungstheorie von der großen „Umvolkung“ einen eigene Spin gibt. Lt. FAZ verbreitete Taleb Al A. aus seinem Account auf X die These, dass Deutschland Europa islamisieren wolle („Germany wants to islamize Europe“). Und weiter: „In einem vor acht Tagen auf einem islamfeindlichen US-Blog erschienenen Videointerview breitet der mutmaßliche Täter 45 Minuten lang krude Thesen aus. Der deutsche Staat betreibe eine ‚verdeckte Geheimoperation‘, um weltweit saudische Ex-Muslime ‚zu jagen und ihr Leben zu zerstören‘.“
In anderen Posts bezog sich der Attentäter positiv auf die AfD. So teilte er im Juni Stellungnahmen von Alice Weidel zum Anschlag in Mannheim und kommentierte sie lt. TAZ mit den Worten: „Meiner Erfahrung nach ist die deutsche Polizei der echte Treiber des Islamismus in Deutschland.“ Und weiter: „Wir brauchen die AfD, um die Polizei vor sich zu schützen.“
Warum er ausgerechnet einen Weihnachtsmarkt als Anschlagsziel ausgewählt hat, erscheint vor diesem Hintergrund rätselhaft. Doch die abstruse Vorstellung, die ihn zur Wahl dieses Zieles geführt haben mag, ist auch zweitrangig. Bei dem Attentäter vermengten sich offenbar Empörung über extreme Unterdrückung und rechter, reaktionärer Irrationalismus zu einem extremen mörderischen Wahn.
Rassismus und Heuchelei
So aberwitzig daher der Hintergrund zur Tat erscheint, so sehr sie auch Züge individueller Verrücktheit aufweist, so zeigt sie zugleich auf einen realen gesellschaftlichen Hintergrund. Die These von der angeblich drohenden „Islamisierung“ Europas oder Deutschlands gehört zum Standardrepertoire der Rechten und Rechtsextremen in der westlichen Welt. Taleb Al A. hat sie nicht erfunden, sondern ähnlich wie andere rechte Attentäter der letzten Jahre mit eigenen Erfahrungen und imaginierten Konstrukten verknüpft. In dieser Hinsicht ähnelt er dem Norweger Breivik, dem Attentäter von Christchurch in Neuseeland oder auch den Mördern von Halle oder Hanau.
Die offensichtliche Nähe der Verschwörungstheorie von Taleb Al A. zur Ideologie der AfD und anderer Rechter hindert diese natürlich nicht, ihre Mitleidsbekundungen mit den Opfern des Anschlags mit rassistischen Forderungen zu verbinden. Dass der Attentäter offenkundig politisch der AfD nahestand, kümmert nicht weiter. So fordert der Chef der Jungen Alternative für Deutschland und AfD-Abgeordnete Hannes Gnauck: „Es reicht! Schiebt sie alle ab!“
Der bürgerliche Mainstream hält sich noch vergleichsweise zurück, drückt Wut, Empörung und Mitgefühl aus. Doch seine Trauerbekundungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie den gesellschaftlichen Hintergrund eines schrecklichen Verbrechens ausblenden, ja ausblenden müssen. Denn es ist der zunehmende Rassismus, der gesellschaftlich und keineswegs bloß individuell erzeugte Irrationalismus, die sich sowohl in Anschlägen von aberwitzigen und terroristischen Einzeltätern entladen, aber noch viel mehr im Vormarsch rechter Ideologien und politischer Kräfte.
Die Opfer von Madgeburg sind auch Opfer dieses scheinbar unaufhaltsamen Rechtsrucks. Wer weitere solcher Anschläge wirklich verhindern will, darf über diese Hintergründe, deren gesellschaftliche Ursachen nicht schweigen. Nur wer sie zu verstehen versucht, kann sie auch bekämpfen.
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