Der türkische Faschismus und die deutsche Rechte
Es besteht ein historisches Bündnis zwischen dem türkischen Faschismus und der deutschen Rechten, das bereits vor die Gründung der Republik Türkei zurückreicht und sich über den Nazifaschismus bis in die Gegenwart erstreckt.
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Die Wurzeln des türkischen Faschismus liegen in der pseudowissenschaftlichen Ideologie des Turanismus begründet und sind damit eng mit den Ursprüngen der Naziideologie und dem biologistischen Rassismus verwoben. Während der Turanismus ein imaginiertes „Turanisches Reich“ postuliert, das auch Finnland und Ungarn mit einbezieht, geht er einher mit dem Panturkismus, der die Einheit der „Turkstaaten“ fordert und die aktuelle Außenpolitik der Türkei neben dem islamistisch orientierten Neoosmanismus prägt. Sowohl die religiöse Rechte als auch die biologistisch rassistische Rechte pflegten engste Verbindungen nach Deutschland. So nahmen sich turanistische Ideologen ein aktives Beispiel an der Naziideologie, arbeiteten aber auch praktisch mit den Nazis zusammen. Der Naziüberfall auf die Sowjetunion etwa wurde gefeiert. Zwischen 1933 und 1945 träumten sie von einer Nachbarschaft mit Nazideutschland.
Auch die turanistisch beeinflussten Kemalisten stießen in ein ähnliches Horn und schlossen am 18. Juni 1941, also drei Tage vor dem Überfall auf die Sowjetunion, einen „Türkisch-Deutschen Freundschaftspakt“. Dieser Pakt sollte sich vor allem in ökonomischer Unterstützung des Naziregimes durch die Türkei niederschlagen. Die Kooperation war kriegswichtig, denn der größte Teil des in der Kriegsindustrie verwendeten Metalls Chrom stammte aus der Türkei beziehungsweise Nordkurdistan. Allein mit dem Abkommen von 1941 wurden 90.000 Tonnen Chrom an Deutschland verkauft. Während des Zweiten Weltkriegs gingen 90 Prozent der Exporte aus der Türkei nach Nazideutschland und 75 Prozent der Importe in die Türkei kamen aus Nazideutschland.
Dahinter stand sicherlich auch Adolf Hitlers Plan, sich weiter nach Osten zu wenden, die von Wilhelm II. begonnene Berlin-Bagdad-Bahn zu vollenden und sie für seine Expansionspläne in den Mittleren Osten hinein zu nutzen. Es ging dabei darum, die Bodenschätze im ganzen Nahen und Mittleren Osten und einschließlich Kurdistans auszubeuten und auf dieser Grundlage einen weltumspannenden Faschismus zu errichten. Um diesen Plan umzusetzen, waren die rassistischen und faschistischen Strömungen in der Türkei strategische Partner des Nazifaschismus. Dieses Bündnis reicht bis in die jungtürkische Bewegung und die deutsche Komplizenschaft beim Genozid an der armenischen Nation zurück.
Nazis stützten turanistische Faschisten
Als die Wehrmacht in ihrem verbrecherischen Krieg gegen die Sowjetunion vorrückte, erklärte Präsident Ismet Inönü (später CHP): „Die Deutschen bewegen sich mit 80 km/h fort. Bei dieser Geschwindigkeit werden die Russen in einem Monat besiegt sein. Das wäre ein großer Gewinn für uns, denn dann betreten wir den Kaukasus und die Bevölkerung der Türkei wächst um 30 Millionen, und die Ölfelder in Baku gehören uns.“ Es ist nicht mehr festzustellen, ob Inönüs Plan funktioniert hätte, wenn in Stalingrad den Nazitruppen nicht das Rückgrat gebrochen worden und der Krieg nach Hitlers Wünschen verlaufen wäre. Aber die Nazis hatten die Turanisten sowohl materiell als auch ideologisch schon jahrelang unterstützt. Beide Ideologien zeichneten sich durch den gleichen auf Schädelvermessung basierenden, pseudowissenschaftlichen rassistischen Wahn aus.
Mit der Machtübertragung an die Nazis war bereits im Jahr 1933 das deutsche Interesse am „Panturkismus“ als „türkischem Zweig“ des NS-Denkens gewachsen. Dem deutschen Botschafter in Ankara, Franz von Papen, wurde der Auftrag übergeben, die türkischen Faschisten zu organisieren und zu unterstützen. Papen organisierte im Namen der Nazis „Tischgespräche“ und betonte in einem Schreiben an seinen engen Freund, Generalstabchef Fevzi Çakmak: „Der Turanismus kann in der Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland eine wichtige Rolle einnehmen.“ Die turanistischen Kreise waren von der NS-Ideologie begeistert und der Turanismus wurde in den 1930er Jahren mit der Unterstützung der Nazis zu einer ständig wachsenden Bewegung. Die Turanisten organisierten sich mit Hilfe der Nazis in den sogenannten Türk Ocakları, Vorläufer der heute auch in Deutschland weitverbreiteten Alperen Ocakları oder Ülkü Ocakları der Turanisten.
Geteilter Antisemitismus
Eine weitere wichtige Parallele zwischen Naziideologie und Turanismus ist der verbreitete Antisemitismus, der sich bereits 1934 in Pogromen entlud. Das größte Pogrom war die Vertreibung der Jüd:innen aus Thrakien, das heute in der Türkei immer noch beschönigend als „Thrakien-Ereignis“ benannt wird. Dabei wurden etwa 10.000 Jüd:innen aus Çanakkale, Edirne, Uzunköprü, Kırklareli, Keşan, Lüleburgaz und Silivri vertrieben. Begleitet wurde das Pogrom von Plünderungen, Raub und Vergewaltigungen – von Behördenseite unterstützt. Angestachelt worden war das Pogrom von dem nach dem Vorbild des Naziblattes „Stürmers“ herausgegebenen nationalistischen Hetzblatt „Millî Inkilap“.
Papen leistete nicht nur ideologische und moralische Unterstützung, sondern wurde zum Übermittler hoher Geldbeträge zur Stärkung des türkischen Faschismus. In einer Nachricht an Botschafter Papen am 5. Dezember 1942 schrieb der NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop, man habe fünf Millionen Mark für „unsere Freunde in der Türkei“ bereitgestellt, er wolle, „dass dieses Geld großzügig verteilt und dann berichtet wird.“ Das Geld floss in faschistische Vereine wie die „Türk Ocakları“ und entsprechende Zeitschriften und Verlage.
Türkische Faschisten bieten Nazis „unerschöpfliche Möglichkeiten“
Nazideutschland suchte außerdem Kontakte zu Faschisten, die sich zu Anführern aufbauen ließen. In diesem Rahmen fiel interessanterweise das Augenmerk der Nazis auf den damals jungen und unerfahrenen Offizier Alparslan Türkeş, der bereits durch seine Hitler-Sympathie aufgefallen war. In einem Bericht der NS-Sicherheitspolizei an das Außenministerium vom 16. November 1944 wird explizit auf Türkeş und andere türkische Rassisten eingegangen.
In dem Brief heißt es: „Aus der Entwicklung der Kriegsführung ergibt sich die Notwendigkeit, Beziehungen in den pantürkischen und deutschfreundlich gesinnten Gruppen in der Türkei auszubauen und zu pflegen. Gerade in der Türkei bieten im Hinblick auf angrenzende Rohstoffländer solche Verbindungen Möglichkeiten, die sich in ihrer ganzen Tragweite nur aus dem Lande selbst überblicken lassen.
Die Türkei war für uns der wichtigste Lieferant für Chrom. Das Reich deckte 30% seines Bedarfes an Chrom, bis die türkische Regierung infolge der bekannten anglo – amerikanischen Note – bei gleichzeitiger Weiterlieferung an England, das 1943 allein 55.000 Tonnen Chrom erhielt – die Lieferung an Deutschland einstellte.
Die Zielsetzung des Feindes wird an diesem Beispiel voll erkennbar. Unsere Verbindungen müssen deshalb dringlich aktiviert werden. Die Voraussetzung für den Einsatz uns nahestehender Personen bieten die Verbindungen, die vormals vom Amt Ausland / Abwehr des OKW gepflegt wurden. Dabei muss auf die Schnelligkeit von Anfang an besonderem Wert gelegt werden, da die politische Haltung der türkischen Regierung für die nächste Zeit nicht voll kalkuliert werden kann.
Bislang bestand aufgrund ihrer Haltung gute Verbindungen zu folgenden Personen:
1. Alparslan Türkeş – Absolvent einer Offiziersschule und Führer der pantürkischen Bewegung.
2. Tekin Ariburun – Absolvent einer Militärakademie in England und Attaché der Luftstreitkräfte im Deutschen Reich.
3. Sadi Kotschasch – mit politischen und militärischen Fähigkeiten.
Diese Türken verdienen nach wie vor unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie nachrichtendienstlich zu nutzen, muss der Geschicklichkeit und der persönlichen Initiative der im diplomatischen Dienst stehenden V – Männer überlassen bleiben. Es steht jedoch erwiesenermaßen fest, dass bei richtigem Einsatz dieser Personen unerschöpfliche Möglichkeiten bestehen, die über die militärischen Interessen des Reiches hinausgehen.
Unter allen Umständen muss gesichert werden, dass diese Personen auf weite Sicht für Deutschland wirksam werden können. Das Auswärtige Amt wird daher gebeten, über die deutsche Botschaft in Ankara in geeigneter Weise die Verbindungen zu solchen Persönlichkeiten und Gruppen, speziell zu den genannten, zu halten und auszubauen.“
Als die Niederlage des Nazifaschismus 1944 bevorstand, versuchte die türkische Regierung sich auf die Seite der Sieger zu retten und brach, wie in dem oben zitierten Schreiben erwähnt, am 2. August 1944 ihre diplomatischen und ökonomischen Beziehungen zu Berlin ab. Kurz vor Kriegsende, am 25. Februar 1945, erklärte die Türkei Deutschland pro forma den Krieg und ließ den Anführer der pronazistischen Fraktion Türkeş sowie 23 weitere führende Persönlichkeiten des türkischen Nationalismus im sogenannten „Rassismus-Turanismus“-Verfahren verhaften. Türkeş wurde verurteilt, aber bereits im April 1945 wieder freigelassen, das Verfahren fallen gelassen und er wieder in der Armee eingesetzt. Dahinter scheinen bereits Absprachen mit den USA gestanden zu haben, Rechtsextreme und Faschisten im bevorstehenden Kalten Krieg als Antikommunisten nutzen zu können. Entsprechend begann die türkische Regierung bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre Kommunisten und andere Linke systematisch zu verfolgen, während Turanisten und andere Strömungen des Faschismus sich weiter ausbreiten konnten. In dieser Phase wird die Wurzel des modernen türkischen Rechtsextremismus gesehen.
Alparslan Türkeş: Gladio-Pionier in der Türkei
Die USA und schließlich die NATO begannen Rechtsextremisten weltweit für die antikommunistische, bewaffnete Geheimorganisation Gladio zu rekrutieren. Türkeş wurde 1948 zwei Jahre lang in die USA zu einer Ausbildung an der Infanterieschule in Georgia geschickt. Dort wurde er vor allem in Konterguerillataktiken unterrichtet. Auch im Nachkriegsdeutschland wurde Türkeş militärisch weitergebildet. In den 50er Jahren pendelte Türkeş zwischen USA, Deutschland und Ankara. Er wurde damit einer der ersten Ausbilder für Aufstandsbekämpfung in der Türkei. Türkeş stellt eine der Figuren hinter dem Militärputsch vom 27. Mai 1960 dar und wurde zur „Stimme der Junta“. Er ging während der Junta kurzzeitig nach Indien, baute jedoch ab 1963 seine politische Karriere in der Türkei weiter aus und hielt enge Beziehungen zur Rechten in Deutschland.
Die Gründung der MHP mit Hilfe von NPD, CDU/CSU und dem BND
Mit der Gründung der MHP durch Türkeş 1969 nahm auch die Bedeutung Deutschlands zu. So war die Organisierung unter den sogenannten „Gastarbeitern“ in Deutschland eine der Hauptaufgaben der MHP. Eine rechte Organisierung unter den häufig linken und sozialistischen „Gastarbeiter:innen“ war auch im Interesse der postfaschistischen Bundesregierung. So unterstützten sowohl Persönlichkeiten wie Franz Josef-Strauß (CSU) und andere Personen aus der Führung von CDU/CSU als auch die offen neofaschistische NPD die MHP. Dank dieser Hilfen wurde die MHP 1973 offiziell in Deutschland gegründet, und bis 1975 konnten bereits 50 Verbände der „Grauen Wölfe“ gegründet werden.
Auch die Verbindungen zur NPD sind offensichtlich. Bereits 1970 hatte Türkeş auf Einladung des damaligen NPD-Vorsitzenden von Thadden Deutschland besucht. Ende 1977 rief Türkeş türkische Faschisten auf, eng mit der NPD zusammenzuarbeiten und „die Erfahrungen und Methoden der NPD für ihre Organisationsarbeit zu nutzen“. In einem Brief vom 28. Juli 1978 dankte Türkeş der NPD für ihre Hilfe und sagte: „Ich bin tief beeindruckt von Ihrem Interesse an den Zielen unserer Partei. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den ideologischen Grundprinzipien unserer Parteien.“
Nahezu gleichzeitig empfing der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß am 1. Mai 1978 Türkeş sowie Gün Sazak und Murat Bayrak aus der MHP-Leitung auf dem roten Teppich in München und versprach ihnen seine Unterstützung.
MHP als Todesschwadrone in der Türkei
Während Türkeş auf dem roten Teppich in Deutschland begrüßt wurde, verübten die paramilitärischen Kräfte der MHP bereits in den 1970er Jahren in der Türkei und Kurdistan Morde an Journalist:innen, Intellektuellen, Gewerkschafter:innen und Studierenden. Natürlich kümmerte sich die deutsche Politik nicht viel darum. Die Freundschaft der deutschen Rechten mit türkischen Nationalisten blieb in jenen Jahren jedoch nicht unbemerkt, insbesondere in den frühen 1980er Jahren kam es zu antifaschistischen Protesten, auf denen das Verbot von NPD und „Grauen Wölfen“ gefordert wurde.
Im Juli 1978 wurde mit direkter Unterstützung von CDU und CSU der faschistische Dachverband der Grauen Wölfe, die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“ (ADÜTDF), gegründet. Die Zahl der Vereine von ADÜTDF stieg mit Unterstützung der CDU/CSU von 64 in jenen Jahren auf 170. Nach der ADÜTDF wurde 1987 der „Graue-Wölfe-Verband“ ATIB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) gegründet, der seine Fühler bis weit in Landesregierungen ausstrecken konnte und unter anderem durch den sogenannten Zentralrat der Muslime Unterstützung von Politiker:innen aller Parteien erhält.
Antisemitismus, Kurden- und Armenierhass bilden die Grundlage von Organisationen wie ADÜTDF. Die zur MHP gehörigen Organisationen arbeiten paramilitärisch, sind an der organisierten Kriminalität, Drogen- und Waffenhandel, Mord und Geldwäsche beteiligt, werden aber dennoch von Deutschland unterstützt. Es ist nur folgerichtig, dass Türkeş im Jahr 1995 bei einer Rede bei „Türk Federasyonu“ in Essen die Faschisten zum CDU/CSU-Beitritt aufrief.
Quellen: Kemal Bozay, 2017: Graue Wölfe – die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland (bpb)
Hoffmann/Opperskalski/Solmaz, 1981: Die schiefe Debatte: Verbot der Grauen Wölfe | ANTIFRA (rosalux.de)
Christopher de Bellaigue, 1997: Obituary: Alpaslan Turkes (Independent)