Studentenrevolte in Serbien geht alle an
Am 1. November 2024 stürzte das Vordach des Bahnhofs von Novi Sad ein und tötete 16 Menschen. Dieser Vorfall war der Auslöser für eine breite Auseinandersetzung mit der Macht des serbischen Präsidenten Vučić und eine beispiellose demokratische Mobilisierung.
Am 5. November 2024 versammelten sich Tausende Menschen auf den Straßen von Novi Sad, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Sie alle sind überzeugt, dass der Unfall hätte vermieden werden können, wenn die Behörden die von einem Techniker gemeldeten Unfallrisiken berücksichtigt hätten.
Eine auf Selbstmanagement basierende Studentendynamik
Trotz der Anklage gegen den Verantwortlichen der Website weitete sich der Protest auf die Studentenschaft aus. Anfang November 2024 beteiligten sich alle Universitäten des Landes an dem Protest. Premierminister Miloš Vučević reichte seinen Rücktritt ein.
Der Protest wurde hauptsächlich von Studierenden angeführt, die die Fakultäten besetzten – oft mit Unterstützung ihrer Dozenten. Freie Versammlungen fanden praktisch ständig statt. Direkte Demokratie wird gelebt. Einen Anführer kann es nicht geben, da die Demonstranten die Machtkonzentration fürchten und das Risiko gezielter Repressionen einkalkulieren.
Studenten haben landesweit Protestmärsche initiiert, um Korruption, Klientelismus und Autoritarismus anzuprangern. Diese Mobilisierung ist Ausdruck der beginnenden Suche nach einer Alternative zum serbischen parlamentarischen System, das die Macht in den Händen von Minderheiten konzentriert. Einige Teilnehmer berichten, sie hätten sechs Monate vor den Ereignissen kein Interesse an Politik gehabt und seien nun froh, sich engagieren zu können.
Eine nationale Mobilisierung der Bevölkerung
Die Demonstrationen stoßen auf breite Unterstützung in der Bevölkerung. Auf dem Land bieten Bauern regelmäßig Verpflegung und Unterkunft an und nutzen die Gelegenheit, die lächerlichen Preise anzuprangern, zu denen ihre Produkte von den großen Handelskonzernen gekauft werden.
Am 15. März 2025 nahm die Bewegung eine größere Dimension an. In Belgrad fand eine Demonstration mit über 300.000 Menschen statt. Das Ausmaß – das Land hat 6,5 Millionen Einwohner – veranlasste die Regierung offenbar dazu, die Repressionen einzustellen, obwohl ein ohrenbetäubender Kanonenschuss abgefeuert wurde, um die Menge zu zerstreuen. Das Ausmaß der Mobilisierung veranlasste Präsident Vučić jedoch nicht, seine Haltung zu ändern oder einen Dialog mit den Demonstranten aufzunehmen.
Am 28. Juni 2025 versammelten sich 140.000 Menschen zu einer Demonstration in Belgrad. Die Studierenden erklärten, die Bewegung habe sich zu einem Bürgerprotest entwickelt. Die Illegitimität der Regierung wurde verkündet. Zwei politische Forderungen werden nun gestellt: die Ausrufung vorgezogener Wahlen und die Räumung eines Militärlagers. Die Gründe für die Mobilisierung werden vielfältiger: grassierende Korruption, der Ausverkauf natürlicher Ressourcen an ausländische Unternehmen und prekäre Bedingungen für Arbeiter und Bauern.
Repression und internationale Solidarität
Angesichts dieser neuen demokratischen Dynamik reagierte die Regierung mit Gewalt und Polizeieinsätzen. In den kommenden Wochen wird mit einer Verschärfung der Repressionen gerechnet. Seit dem 28. Juni werden im ganzen Land, insbesondere in der Hauptstadt, weiterhin strategische Kreuzungen blockiert.
Niemand weiß, wie die Regierung aus der Sackgasse herauskommen wird, in der sie steckt. Die Entscheidung für Repression und eine autoritäre Tendenz dürften die Annahme der serbischen Kandidatur für den Beitritt zur Europäischen Union nicht begünstigen, die dennoch eine erklärte Priorität der Regierung darstellt.
Die Solidaritätsbewegungen mit dem serbischen Volk müssen verstärkt werden, wie dies bereits bei den beiden Besuchen serbischer Demonstranten in Brüssel und Straßburg der Fall war.
7. Juli 2025
Quelle:
https://internationalviewpoint.org/spip.php?article9079
- Serbia: controlled, decentralized chaos across the country, but power is waning
- Student protest in Serbia: “either we stop or there will be a civil war”
- Serbian students cycle to Strasbourg, Macron prefers to receive the autocrat Vučić
- Chronology of the struggle in Serbia
- Student protests in Serbia: „The movement cannot afford to stop now“
- Serbia’s Mass Protests Against a Crony-Capitalist Government
- The Kenyan Uprising
- Protesters in Bangladesh Want an End to State Repression
- On the raging student movement in Bangladesh
- Palestine Solidarity Student Movement in the USA: An Overview