+++ Wir sind alle Antifa – Gegen die Kriminalisierung von antifaschistischem Protest! +++

Am 08.11.23 wurden bundesweit Hausdurchsuchungen von Cops durchgeführt.
Getroffen hat es Antifaschist*innen aus Dresden, Leipzig, Nordhausen,
Göttingen, Erfurt und Hamburg. Die Durchsuchungen stehen im Zusammenhang
mit einer antifaschistischen Demo am 01.05 in Gera, die sich mehr als
700 Neonazis in den Weg gestellt hat. Das ist ein weiterer Versuch von
Staat und Justiz antifaschistischen Protest zu kriminalisieren – Wir
sagen Schluss damit! Wir sind alle Antifa!

Vor dem Hintergrund des Erstarkens der extremen Rechten, der AfD und der
rassistischen und antisemitischen Morde und Attentate von Halle bis
Hanau, München bis Hamburg, braucht es antifaschistische Gegenwehr –
denn der Staat macht mit! Die offene Gesellschaft wird von uns an so
vielen Orten verteidigt: In der Kneipe, unter Arbeitskolleg*innen, als
auch auf der Straße in unseren Städten! Deshalb ist Antifaschismus nicht
nur notwendig, sondern auch legitim!

Die Kriminalisierung von Antifaschismus ist kein Einzelfall. Am 1. Mai
in Gera, im Antifa-Ost Prozess oder beim Tag X (Urteilsverkündung im
Antifa-Ost Verfahren) selber hat der Staat allein dieses Jahr mehrmals
gezeigt, wie gerne er mit voller Härte gegen Antifaschistinnen vorgeht.
Und auch in Göttingen passiert genau das wieder: als sich am 16.
September die breite Göttinger Stadtgesellschaft dem Aufmarsch von
Querdenken erfolgreich entgegen stellte, sind es wieder
Antifaschistinnen, die von der Polizei mit Strafverfahren kriminalisiert
werden sollen. Die Vorwürfe sind dabei ähnlich wie in Gera – es ist an
uns allen die betroffenen Antifaschist*innen nicht alleine zu lassen und
solidarisch an ihrer Seite zu stehen, denn gemeint sind wir alle!
Wenn wir eine Gesellschaft der Vielen sein wollen, in der Hass, Hetze
und Faschismus keinen Platz haben, müssen wir uns gemeinsam dagegen
stellen: Für Vielfalt, für Antifaschismus und gegen Rechte Gewalt und
Kriminalisierung! Wir rufen alle auf: Kommt mit uns auf die Straße und
zeigt: Göttingen bleibt antifaschistisch!

11.11.23 / 13 Uhr / Gänseliesel

Hier ist Redebeitrag von Antirassistischen Bündnis

Liebe Genoss*innen und Verbündete!

Wir sind traurig, machtlos, wütend!

Über so vieles, was passiert in der Welt: Krisen, Kriege, Klimakatastrophen…Dieser Zustand ist nicht neu und kommt nicht plötzlich, aber er scheint sich zunehmend zuzuspitzen. Uns beschäftigt, wie wir damit umgehen, wenn wir mit Geschehnissen konfrontiert sind, von denen die meisten Menschen, die hier leben, nicht selber betroffen sind.  Wir fragen uns, wie wir darauf reagieren wollen und wie wir uns solidarisieren können, ohne uns auf uns selber zu zentrieren.Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die durch die kürzlich durchgeführten, bundesweiten Hausdurchsuchungen nach einer 1. Mai Demo in Gera gegen einen Nazi-Aufmarsch von Repressionen betroffen sind. Wir verurteilen diese Repression scharf! Auch beobachten wir aktuell eine krasse Zunahme der Repressionen – und zwar überall!

Wir fragen uns allerdings, wie es kommt, dass – wenn es Repressionen gegen mehrheitlich weiße  deutsche Linke gibt, so viel Mobilisierungskraft da ist und viele Menschen auf die Straße gehen. Es ist toll, dass das so ist! Doch wir wünschen uns, dass unsere Solidarität weitreichender ist und mehr Menschen einschließt.Denn die zunehmenden Repressionen treffen bei weitem nicht nur die weisse Linke, sondern so viele mehr. Die meisten Menschen, die von Repressionen betroffen sind und unsere Solidarität verdienen, bleiben dabei unsichtbar! Auch hier in Deutschland, auch hier in Göttingen.Hausdurchsuchungen bei Geflüchteten, um Beweismaterialien für die sogenannte „illegale Einreise“ oder die „Beihilfe“ dazu  zu finden oder um Pässe einzukassieren, damit Menschen abgeschoben werden können, passieren andauernd. Auch hier in Göttingen. Menschen müssen untertauchen und sich verstecken, damit sie nach Monaten endlich einen Asylantrag stellen können oder ihr Antrag auf Asyl wird abgelehnt und sie leben in der Illegalität. 

Auch hier in Göttingen passiert rassistische Polizeigewalt. Menschen erleben reine Willkür, Verprügelung, Inhaftierung und extrem unfaire Gerichtsprozesse durch die rassistische Polizei und Justiz. Daraus können sich horrende Strafsätze für Asylsuchende ergeben, die ihren Aufenthalt hier gefährden! Solche Fälle brauchen dringend Sichtbarkeit, finanzielle Unterstützung, Öffentlichkeit und solidarische Begleitung! Der aktuelle Israel-Hamas Krieg beschäftigt uns wohl alle und er hat was mit Repression und Kriminalisierung zu tun darum reden wir heute auch hier darüber. Wir fragen uns wo bleibt die Empörung, Wut und Solidarität?! Wir hören gerade überall Antisemitismus nimmt zu und das stimmt auch. Gleichzeitig ist Antisemitismus kein „Importprodukt“, sondern tief verankert in der deutschen Gesellschaft. Das zeigt sich ja auch daran dass es bei den Hausdurchsuchungen auch um eine 1.Mai Demo gegen Nazis ging.  Vielleicht sind diese rassistischen Projektionen des importieren Antisemitismus im Kontext von Israel/Palestina ein Reinwaschen von deutscher Schuld im Land und als Nachfahr*innen der Täter*innen der Schoah.

In Göttingen wird dazu mehrheitlich geschwiegen. Oder aber es machen sich unsolidarische Gräben auf, indem aus priviligierter Position heraus Öl ins Feuer gegossen und rassistisch_antisemtisch agiert wird, statt auf die Betroffenen zu hören und ihnen mehr Raum geben. Schlimmer noch: die Räume, die dazu dienen, dass Menschen die von Rassismus und/oder Antisemitismus betroffen sind, zusammenkommen, werden gestört. Wie vergangene Woche, als es einen Braver Space für Menschen, die selber von Antisemitismus und/oder Rassismus betroffen sind, im Krawall gab, zum Thema Israel-Palestina und weisse Menschen  sehr aufdringlich versucht haben Teil des Gesprächs zu werden obwohl sie als nicht Betroffene explizit ausgeladen waren. 

Wo bleibt die Solidarität mit Palästinenser:innen und arabisch und muslimisch gelesenen Personen, (Randnotiz, auch jüdische Menschen werden oft so gelesen), die aktuell extrem kriminalisiert werden? Erschreckenderweise ist es an der Tagesordnung, dass Palestinenser*innen und Muslim*innen mit der Hamas und Terror gleichgesetzt werden. Diese Kriminalisierung führt dazu, dass Menschen, leider berechtigterweise, Angst haben ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, wenn sie sich einsetzen für die Freiheit aller Menschen. Im Zuge all dieser Repression gegen Palästinenser:innen und arabisch und muslimisch gelesene Personen versuchen rechte Kräfte, weiter die Asylgesetze zu verschärfen. Und wir schauen weg?

Natürlich gibt es auch Antisemitismus in nicht-weissen Kreisen und der gehört genauso verurteilt und angegangen. Ein Einschreiten an dieser Stelle können wir kaum beobachten. Vermutlich haben Menschen Angst, dann als Rassist*in missverstanden zu werden oder weil sie in ihren eigenen Communities nicht den Mut haben einzugreifen. Es bleibt aber immer noch eine Tatsache, dass der allermeiste Antisemitismus in Deutschland aus der weissen Mehrheitsgesellschaft kommt, auch in linken und anarchistischen Kreisen ist er weit verbreitet. Die Wahlresultate der AFD der letzten Wochen lässt vermuten dass dies eher schlimmer als besser wird. Dagegen müssen wur kämpfen,so wie die Menschen die sich am 1.Mai in Gera beherzt den Nazis entgegengestellt haben!

Ein gegeneinander Ausspielen von Menschen, die von Antisemitismus_Rassismus betroffen sind und diejenigen die von Rassismus betroffen sind, muss aufhören! Es muss aufhören, dass weiss-christliche Antifas mit der Moralkeule schwingen und weiterhin dafür sorgen, dass es zu mehr Spaltung kommt, statt Klarheit darüber zu erlangen, dass die Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus in derselben Scheisse zu suchen sind. Unser Schweigen zu Repression gegenüber nicht-weissen Menschen muss aufhören!

Nochmals das was gerade in Israel/Palästina passiert, ist furchtbar. Dass die Massaker der Hamas unendlich grausam, widerlich und menschenverachtend sind, steht nicht zur Diskussion. Ebenso nicht, dass sie zutiefst antisemitisch sind und nichts mit kolonialer Befreiung zu tun haben.  Dass der Staat Israel gerade eine ethnische Säuberung und Massenmord an der palästinensischen Bevölkerung durchführt, ist grausam. Es tut weh, dass die deutsche Linke mit ansieht, wie tausende Menschen, darunter fast die Hälfte unter 18jährige, getötet werden und zum grössten Teil schweigt. Doch was bedeutet das für hier?

Es ist ebenso Repressio, dass es in Deutschland fast unmöglich ist, sich mit den Menschen in Gaza zu solidarisieren oder die Siedler*innenpolitik Israels zu kritisieren, ohne kriminalisiert zu werden. Es ist ebenso Repression, dass die rassistischen Polizeikontrollen in gewissen Teilen von Deutschland, besonders in Berlin, gerade jetzt auf einem Höchststand sind. Wie so oft sind wir nicht gut darin, die Zusammehänge all dieser Einzeltaten zu sehen, die immer wieder zu einem Erstarken von Nationalismus, weiss-christlicher Vorherrschaft und einer enormen Steigerung an Waffenexporten aus westlichen Ländern führen und Neo-Kolonialismus und Kapitalismus vorantreiben. Es gibt tausende Menschen, die von unterdrückerischen Staaten verschleppt und gefoltert werden und Fälle, wo Familien jahrelang nichts von ihren Angehörigen wissen. Z.B. in Belutschistan, wo die pakistanische Armee und der pakistanische Geheimdienst seit Jahrzehnten Menschen verschleppen, ermorden und Familien in Ungewissheit leben. Darüber wird mehrheitlich geschwiegen. 

Auch die  Geiseln der Hamas müssen freigelassen werden – aber diese Forderung darf nicht alleine stehen. Genauso fordern wir u.a. die Freilassung der yezidischen Geiseln, die sowohl von Daesh (ISIS) als auch von der Hamas festgehalten werden. In Kurdistan gibt es gerade eine erneute Eskalation und viele Luftangriffe seitens des türkischen Militärs. Es scheint, dass unsere Aufmerksamkeit immer auch an uns selber und unsere eigene Geschichte gekoppelt ist. Anders lässt es sich nicht erklären, warum die deutsche Gesellschaft einseitig zu Israel/Palästina redet und wir jetzt hier mit so vielen Menschen stehen, weil es Hausdurchsuchungen bei Linken in mehreren deutschen Städten gab. Wir wollen und müssen das durchbrechen und unsere Solidarität anders leben!

Mit all diesen Menschen, die wir erwähnt haben und all denjenigen, die gegen diese unterdrückerischen Systeme kämpfen, wollen und müssen wir uns solidarisiseren! Nicht mit den Staaten, sondern mit den Menschen, die für ihre eigene Freiheit einstehen! Lasst uns nicht nur dann solidarisch sein, wenn es uns selber betrifft!

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ENGLISH (translated with online translator)

Dear comrades and allies!
We are sad, powerless, angry!

About so much that is happening in the world: crises, wars, climate catastrophes… This situation is not new and has not come out of the blue, but it seems to be coming to a head.

We are concerned with how we deal with it when we are confronted with events that do not affect most of the people who live here.
We ask ourselves how we want to respond and how we can show solidarity without focusing on ourselves. We are in solidarity with all people who have been affected by repression as a result of the recent nationwide house searches following a May Day demonstration in Gera against a Nazi march.
We strongly condemn this repression! We are also currently observing a blatant increase in repression – everywhere!
However, we wonder how it is that – when there is repression against predominantly white German leftists – there is so much mobilization power and masses of people take to the streets. It’s great that this is the case! But we would like our solidarity to be more far-reaching and include more people.

Because the increasing repression doesn’t just affect the white left, but so many more. Most people who are affected by repression and deserve our solidarity remain invisible! Even here in Germany, even here in Göttingen.

House searches on refugees to find evidence of so-called „illegal entry“ or „aiding and abetting“ or to confiscate passports so that people can be deported happen all the time. Even here in Göttingen. People have to go underground and hide so that they can finally apply for asylum after months or their application for asylum is rejected and they live in illegality.
Racist police violence also happens here in Göttingen. People experience pure arbitrariness, beatings, imprisonment and extremely unfair trials by the racist police and judiciary. This can result in horrendous penalties for asylum seekers who jeopardize their stay here!
Such cases urgently need visibility, financial support, publicity and solidarity!

The current Israel-Hamas war probably concerns us all and it has something to do with repression and criminalization, which is why we are also talking about it here today. We ask ourselves where is the outrage, anger and solidarity? We are hearing everywhere that antisemitism is on the rise and that is true. At the same time
antisemitism is not an „imported product“, but deeply rooted in German society. This is also shown by the fact that the house searches were also about a May Day demonstration against Nazis. Perhaps these racist projections of imported antisemitism in the context of Israel/Palestine are a whitewashing of German guilt in the country and as descendants of the perpetrators of the Shoah.

In Göttingen, the majority remain silent about this. Or else trenches of solidarity are opening up by pouring oil on the fire from a position of privilege and acting in a racist_antisemitic manner instead of listening to those affected and giving them more space. Worse still: the spaces that serve to bring together people affected by racism and/or antisemitism are disrupted. Like last week, when there was a Braver Space for people who are themselves affected by antisemitism and/or racism at Krawall, on the topic of Israel-Palestine, and white people very insistently tried to become part of the conversation even though they were explicitly invited as those not affected.

Where is the solidarity with Palestinians and people read as Arab and Muslim (as a side note, Jewish people are also often read this way), who are currently being extremely criminalized? Shockingly, it is commonplace for Palestinians and Muslims to be equated with Hamas and terror.
This criminalization leads to people, unfortunately justifiably, being afraid of losing their residence status if they stand up for the freedom of all people.
In the wake of all this repression against Palestinians and people of Arab and Muslim descent, right-wing forces are trying to further tighten asylum laws. And we look the other way?

Of course, there is also antisemitism in non-white circles and this should also be condemned and tackled. We have hardly seen any intervention in this area. People are probably afraid of being misunderstood as racist or because they don’t have the courage to intervene in their own communities. However, the fact remains that the vast majority of antisemitism in Germany comes from the white majority society, and it is also widespread in left-wing and anarchist circles. The election results of the AFD in recent weeks suggest that this is getting worse rather than better. We must fight against this, just like the people who courageously confronted the Nazis on May Day in Gera!

Playing off people who are affected by antisemitism_racism against those who are affected by racism must stop! White Christian antifas must stop swinging the moral club and continuing to create more division instead of gaining clarity about the fact that the roots of racism and antisemitism are to be found in the same shit. Our silence on repression against non-white people must stop!

Once again, what is happening in Israel/Palestine is terrible.
The fact that the Hamas massacres are infinitely cruel, disgusting and inhuman is not up for discussion. Nor that they are deeply anti-Semitic and have nothing to do with colonial liberation.
The fact that the state of Israel is currently carrying out ethnic cleansing and mass murder of the Palestinian population is cruel. It hurts that the German left is watching thousands of people being killed, almost half of them under the age of 18, and for the most part remains silent. But what does that mean here?

It is also repression that it is almost impossible in Germany to show solidarity with the people in Gaza or to criticize Israel’s settler policy without being criminalized.
It is also repression that racist police checks in certain parts of Germany, especially in Berlin, are at an all-time high right now. As is so often the case, we are not good at seeing the connections between all these individual acts, which repeatedly lead to a strengthening of nationalism, white-Christian supremacy and an enormous increase in arms exports from Western countries, driving neo-colonialism and capitalism.

There are thousands of people who are abducted and tortured by oppressive states and cases where families know nothing about their loved ones for years. For example, in Balochistan, where the Pakistani army and the Pakistani secret service have been abducting and murdering people for decades and families live in uncertainty. The majority of people remain silent about this.

The Hamas hostages must also be released – but this demand must not stand alone. We are also calling for the release of the Yazidi hostages who are being held by both Daesh (ISIS) and Hamas.
In Kurdistan, there is currently a renewed escalation and many airstrikes by the Turkish military. It seems that our attention is always linked to ourselves and our own history. There is no other way to explain why German society is talking one-sidedly about Israel/Palestine and why we are now standing here with so many people because there have been house searches of left-wingers in several German cities. We want to and must break through this and live our solidarity differently!

We want to and must show solidarity with all these people we have mentioned and all those who are fighting against these oppressive systems! Not with the states, but with the people who are standing up for their own freedom! Let’s not only show solidarity when it affects us!