Göttingen: Aufruf zur solidarischen Prozessbegleitung
Dienstag, 3. November 2020
08.30 Uhr Solidarische Prozessbegleitung, Amtsgericht
17.00 Uhr Kundgebung: Solidarität gegen Kriminalisierung und
Polizeigewalt, Gänseliesel
Solidarität gegen Kriminalisierung und Polizeigewalt
Mal wieder steht ein Freund von uns vor Gericht. Warum?
Vor zweieinhalb Jahren haben viele von uns gegen die rechtswidrige
Inhaftierung von Willard protestiert und wollten seine drohende
Abschiebung verhindern. Unser Freund Willard wurde damals unter Mithilfe
der Lagerleitung des DRK Pascal Comte von der Polizei mitten am Tag
zunächst in die Polizeiwache Groner Landstraße entführt. In kürzester
Zeit versammelten sich dort hunderte Menschen und forderten die
sofortige Freilassung Willards. Die solidarischen Aktivistinnen wurden daraufhin von der Polizei geschlagen, getreten, mit Pfefferspray besprüht, verletzt – einige wurden in Gewahrsam genommen. Und welche Konsequenzen folgten aus diesen Rechtsbrüchen? Wurde Willard für die erlittene Angst, Demütigung und Gewalt entschädigt und konnte zurückkehren? Nein, das konnte er nicht. Wurden Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der rechtswidrig durchgeführten Inhaftierung von Willard und gegen die Gewalt ausübenden Polizistinnen aufgenommen? Im Gegenteil. Wahllos wurden solidarische
Menschen aus der Versammlung herausgezogen und anschließend mit
Strafbefehlen überzogen. Mal wieder. Wir kennen das leider zur Genüge,
denn es hat System. Und es kotzt uns an!
Geflüchtete, antirassistischer Protest und Solidarität werden
kriminalisiert. Kritik an Polizei und Justiz soll mundtot gemacht
werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn in den Mainstream-Medien
zuletzt öfter über Polizeigewalt, Rassismus inkl. racial profiling oder
rechte Netzwerke bei Polizei und Staatsanwaltschaft berichtet wird.
So wurden Vorfälle von Polizeigewalt in letzter Zeit in Hamburg,
Frankfurt, Düsseldorf oder Freiburg zwar öffentlich hinterfragt, da
eindeutige Videoaufnahmen im Netz veröffentlicht wurden. Doch
schließlich wurden sie gern als „Einzelfälle“ abgetan. Solche
sogenannten Einzelfälle kennen wir schon, seitdem wir uns politisch
engagieren. Welche von uns sind nicht mindestens schon Augenzeuginnen gewesen, wenn Polizistinnen auf wehrlos am Boden liegende, fixierte
Personen traten oder schlugen? Und diejenigen von uns, die schwarz oder
people of colour sind, kennen gar nicht selten auch rassistische
Kontrollen, Erniedrigungen und Gewalt.
Juristisch verfolgt werden diese sogenannten Einzelfälle so gut wie nie.
Von den angezeigten Fällen rechtswidriger Polizeigewalt kommen, laut
einer Studie der Ruhruni Bochum, überhaupt nur weniger als zwei Prozent
vor Gericht und bei weniger als einem Prozent kommt es zu einer
Verurteilung. Dabei wird nur ein Bruchteil der gewalttätigen Übergriffe
durch die Polizei überhaupt angezeigt. Wundern tut das nicht. Mal wieder.
Will mensch Polizeigewalt anzeigen, muss dies bei deren Kolleginnen geschehen. Wer ermittelt? Ebenfalls die Polizei-Kolleginnen. Und wer
leitet überhaupt ein Ermittlungsverfahren ein oder auch nicht? Die
Staatsanwaltschaft, sofern sie überhaupt Kenntnis erhält. Aber mit wem
arbeitet die Staatsanwaltschaft eng zusammen? Mit ebendieser Polizei.
Also: Wer kontrolliert die Polizei? Faktisch niemand.
Die Forderungen nach unabhängigen Beschwerdestellen seitens Amnesty
International, Grundrechtekomitee, Humanistischer Union, Internationaler
Liga für Menschenrechte sowie zahlreicher weiterer
zivilgesellschaftlicher Organisationen und Bündnisse werden seit vielen
Jahren überhört oder schlicht abgelehnt.
Übliche Praxis hingegen ist Folgendes: Gerät die Polizei in Kritik wegen
unverhältnismäßiger Gewalt, wird gar angezeigt oder will einfach nur
einen völlig überzogenen Personalaufwand rechtfertigen – dann müssen
Betroffene von Polizeigewalt und bspw. antirassistisch Engagierte auf
Strafbefehle nicht lange warten. Polizeibeamtinnen sprechen sich ab, schneiden Videos passgenau zusammen, lassen belastende Videos auch manchmal gänzlich verschwinden. Hier nimmt die Staatsanwaltschaft gern Ermittlungen auf und Gerichte verurteilen Menschen z.B. bereits zu Haftstrafen, bloß weil diese zur Polizei „Haut ab!“ gerufen haben. Daneben tritt die Polizei auch immer mehr als eigenständige politische Akteurin auf und betreibt Meinungsmache. Sie twittert bspw. Falschmeldungen über angeblich verletzte oder bedrohte Beamtinnen, die
leider viel zu oft unhinterfragt von Medienvertreterinnen aufgenommen und verbreitet werden. Spätere Korrekturen verklingen dann zumeist unbeachtet. Sie führt irreführende Statistiken ins Feld und sorgt über ihre Themenauswahl für Meinungsmache und eine ordentliche Selbstdarstellung: Polizeibeamtinnen feiern sich dafür, einer Entenmama
mit fünf Küken über die Straße geholfen zu haben. Doch niemals berichten
sie von den von ihr gedemütigten und misshandelten people of colour,
ihren Übergriffen bei der Räumung von Waldbesetzungen oder dem
Obdachlosen, den sie bei -10° in einen Wald rausfuhren, wo er elendig
erfror. Das alles widert uns an. Mal wieder.
Deshalb werden wir zusammenkommen! Weil wir uns nicht mundtot machen
lassen. Weil wir ZUSAMMEN schon einige Abschiebungen verhindern konnten
und noch viele verhindern werden. Weil wir Kriminalisierung und
Polizeigewalt unsere Solidarität entgegensetzen!
Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Solidarität mit allen von Abschiebung Betroffenen!
Für Bewegungsfreiheit für alle!
Our House OM10
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