Redebeitrag von internationler Frauengruppe
Wir sind eine internationale Frauengruppe.
Viele Frauen von uns mussten aus verschiedenen Ländern fliehen, weil Kriege uns
töten und die Lebensgrundlage für uns und unsere Familien zerstören. Wir mussten
fliehen, damit unsere Männer, Söhne und Brüder nicht auch töten müssen. Und wir
sind geflohen vor einem strengen Regime der Männer über die Frauen.
Unsere verschiedenen Wege hierher sind geprägt von unvorstellbaren Strapazen,
Schmerzen, Gewalt, Vergewaltigungen und Tod. Wir haben das nur geschafft, weil
wir die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgegeben haben – Die Hoffnung auf
gerechtere Chancen für uns und unsere Kinder, die Hoffnung auf mehr Freiheit und
auf Möglichkeiten der Selbstentfaltung.
In Deutschland angekommen, haben wir alle die entwürdigende Situation der
Lagerunterbringung erlebt, die uns geflüchtete Frauen einer zusätzlichen Bedrohung
durch sexistische Gewalt aussetzt. Diese Bedrohung geht sowohl von anderen
geflüchteten Personen aus als auch von dem Wachpersonal. Sie hält jede Frau in
den Lagern in Angst und Schrecken.
In Göttingen werden diese Verhältnisse besonders in dem Lager an der Siekhöhe
immer noch weiter aufrecht erhalten. In dieser fensterlosen Lagerhalle wird den
Menschen jegliche Privatsphäre genommen. Damit fehlt den Frauen zusätzlich
dringend benötigter Schutz und Rückzugsmöglichkeit vor sexualisierter Gewalt.
Frauen, Männer und Kinder werden bis heute gezwungen, hier über Monate leben zu
müssen.
Wir können und wollen es nicht hinnehmen, dass in diesem und in vielen anderen
Lagern in Deutschland die Menschen ihrer Freiheit beraubt werden und das unsere
Schwestern hier weiter einer ständigen Bedrohung ausgesetzt sind.
Deshalb dürfen besonders Frauen und Kinder nicht in Lagern untergebracht werden!
Deshalb muss das Lager Siekhöhe dringend geschlossen werden!
Und wir, die wir zum Teil jetzt schon seit ein paar Jahren in dieser Stadt leben, wir
besuchen zuerst einmal Deutschkurse. Zum Teil sind wir bisher noch nie zur Schule
gegangen, haben nicht gelernt, unsere eigene Sprache zu schreiben. Da ist es
ungeheuer schwer, diese fremde Sprache zu schreiben, zu lesen, zu sprechen, zu
verstehen.
Und wenn wir nach Hause kommen, dann warten unsere Kinder, unsere Familie auf
uns. Wir kochen, putzen und pflegen alle nach der Schule. Für Hausaufgaben bleibt
da oft keine Zeit.
Und die jungen Frauen von uns, die noch zur Schule gehen oder schon eine
Ausbildung machen, wissen genau, dass sie zielstrebig einen Bildungsschritt nach
dem anderen machen müssen, um sich einen sicheren Status zu erkämpfen. Das ist
ein Leistungsdruck, der an unser Bleiberecht und damit an unsere Existenz
gekoppelt ist.
Und wenn wir uns so kleiden, wie wir es gewohnt sind, wenn wir Kopftücher tragen,
dann erleben wir Diskriminierung deswegen. Unsere Töchter werden häufig in den
Schulen angefeindet und ausgeschlossen. Die Wohnungs – und die Jobsuche ist mit
Kopftuch erheblich schwieriger. Und auf der Straße erleben wir verdeckte bis offene
Bedrohung.
Gleichzeitig erwarten unsere Familien und unsere Herkunftsgesellschaft, dass wir die
zu Hause gelernten Regeln und Gesetze einhalten. So wird von uns eine bestimmte
Form der Kleidung erwartet. Zudem wird von uns Frauen an erste Stelle die
Versorgung der Männer, der Schwiegereltern und der Kinder erwartet.
Für uns bedeutet jeder Schritt aus diesen traditionellen Rollen eine enorme
Kraftanstrengung, die mit sehr viel Druck und Auseinandersetzungen mit unseren
Familien und Männern verbunden sind.
Wir können solche Schritte aber nur gehen, wenn wir sicher sein können, dass wir
tatsächlich hier bleiben können. Weil Abschiebungen für uns Frauen besonders
bedrohlich sind.
Weil die Gesellschaft zu Hause unser Streben nach selbstbestimmtem Leben hier in
Deutschland genau registriert und auf keinen Fall akzeptiert.
Abschiebung heißt für uns Frauen Tod, weil wir gegen die traditionellen Regeln
verstoßen haben.
Das bedeutet andersherum, dass hier beschriebene Freiheiten für uns nicht gelten,
solange wir keine Sicherheit vor Abschiebung haben.
Die meisten Frauen von uns haben auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Das
heißt, dass unser Bleiberecht an das unserer Männer und an die Ehe gebunden ist.
Das verhindert zusätzlich ein selbstbestimmtes Leben.
Deshalb muss der aufenthaltrechliche Status von Frauen grundsätzlich unabhängig
von dem der Männer sein!
Außerdem muss jeder Antrag auf Aufenthalt von Frauen ohne Gegenfragen
akzeptiert werden!
In dem Spagat zwischen Erwartungen und Druck von allen Seiten ist es für uns
besonders schwer, herauszufinden, was wir eigentlich selber wollen.
Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir sichere Räume haben, in denen wir uns
treffen können. Für manche von uns ist es schon ein Kampf, überhaupt zu diesen
Treffen gehen zu dürfen. Aber hier tauschen wir uns aus. Hier vertrauen wir uns auch
unsere Träume, Wünsche und Nöte an. Hier lernen wir voneinander. Hier helfen wir
uns gegenseitig. Hier erleben wir, dass jede unterschiedliche Schwerpunkte hat.
Dass eine Frau um das Tragen ihres Kopftuches kämpft und die andere um das
Ablegen des Kopftuches.
Und wir stellen fest, dass wir immer nur gelernt haben, für andere da zu sein und zu
erfüllen, was andere von uns erwarten. Die Frage, was wir selber möchten, haben wir
uns bisher kaum gestellt.
So tasten wir uns langsam an unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse heran.
Wir hören den verschiedenen Geschichten der einzelnen Frauen zu, und erkennen
Gemeinsamkeiten und Trennendes
Wir lernen, uns untereinander unsere Meinung zu sagen und wir lernen, andere
Meinungen zu verstehen.
Für uns ist das die Frage nach der Würde jeder einzelnen Person.
Wir kämpfen für ein eigenes Selbst-Bewußt-Sein!
Damit wir für uns selbst denken und sprechen lernen!
Damit wir die Freiheit haben, unseren eigenen Weg zu entwickeln!
Weil wir geflüchtete Frauen denselben Respekt einfordern, wie für alle anderen
Menschen!