Krise der Wasserknappheit: ein Brennpunkt von Klassen-, Geschlechter- und nationaler Unterdrückung im Iran

بحران های مربوط به کمبود آب با سیاست های مرکزگرای حاکمیت ارتباط مستقیم دارد زیرا عموما حاشیه نشینان ملل تحت ستم قربانیان اصلی بحران های محیط زیستی از جمله کمبود آب آشامیدنی اند.

Farsi sprachige text ist von Gruppe iranische linke „Kollektiv 98 „. Eine Genossin von uns hat den Text auf deutsch übersetzt.

متنی از کلکتیو ۹۸ درباره‌ی #بحران_آب

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https://telegra.ph/%D8%A8%D8%AD%D8%B1%D8%A7%D9%86-%DA%A9%D9%85%D8%A8%D9%88%D8%AF-%D8%A2%D8%A8-%DA%AF%D8%B1%D9%87-%DA%AF%D8%A7%D9%87-%D8%B3%D8%AA%D9%85-%D8%B7%D8%A8%D9%82%D8%A7%D8%AA%DB%8C-%D8%AC%D9%86%D8%B3%DB%8C%D8%AA%DB%8C-%D9%88-%D9%85%D9%84%DB%8C-%D8%AF%D8%B1-%D8%A7%DB%8C%D8%B1%D8%A7%D9%86-03-23

Am 22. März war der Weltwassertag, der an die tiefe Krise in diesem Bereich erinnert. Etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung leben in Gebieten mit schwerer oder kritischer Wasserknappheit, und in den letzten Jahren hat sich der Wasserstress im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika vervielfacht, was weitere Herausforderungen verspricht. Einem Bericht des World Resources Institute (WRI) zufolge steht der Iran an vierter Stelle, was die weltweite Wasserknappheit angeht. Der Iran leidet seit mindestens einem Jahrzehnt unter zunehmender Trockenheit, und in den letzten sechs Monaten ist die Wasserzufuhr zu den Teheraner Talsperre im Vergleich zum Vorjahr um 30 % zurückgegangen. Es wird erwartet, dass mehr als 200 iranische Städte im kommenden Jahr mit diesem Problem konfrontiert sein werden.
Die Provinzen Isfahan und Chaharmahal und Bakhtiari, Yazd und Khuzestan sowie der zentrale und südwestliche Iran sind alle mit dem Problem der Wasserknappheit für die Bevölkerung und die Landwirte konfrontiert. In der Provinz Lorestan wird nur die Hälfte der Dörfer von der Wasser- und Abwassergesellschaft der Provinz versorgt. Auch in Ahwaz haben die Menschen keinen Zugang zu einer nachhaltigen Trinkwasserversorgung. Auch an die 1000 Dörfer in der Provinz Kerman leiden unter Trinkwasserproblemen, von denen mehr als 700 Dörfer Probleme mit belastetem Wasser haben. Die Wasserversorgung von mehr als 1300 Dörfern in Sistan und Belutschistan erfolgt mit mobilen Tankwagen das den Bedarf nicht decken kann. Viele Menschen in den Dörfern sind immer wieder in einer ernsten Krise der Wasserknappheit.
Ein weiteres Problem ist das knappe und teure Trinkwasser, das die Menschen dazu zwingt, auf verunreinigtes und billigeres Wasser auszuweichen. In Ermangelung einer ausreichenden Trinkwasserversorgung durch die Regierung weichen sie auf den Kauf von Trinkwasser in Tankwagen aus, das häufig von staatlichen Betrieben zu sehr hohen Preisen angeboten wird. In den Vorstädten von Gebieten wie Sistan und Belutschistan, die von der zentralistischen Politik ausgeschlossen sind, müssen die Haushalte für die Trinkwasserversorgung selbst aufkommen. Selbst in diesen Gebieten sind einige Slumbewohner gezwungen, teures Trinkwasser zu kaufen, was ihre Kaufkraft für andere Dinge sehr stark einschränkt. In einigen Fällen führt das dazu, dass sie die Schule abbrechen und schnell auf den Arbeitsmarkt oder in den Haushalt gehen um ihr Grundbedürfniss nach Trinkwasser zu stillen.Wasserknappheitskrisen stehen in direktem Zusammenhang mit der Politik der Zentralregierung, da die unterdrückten Regionen in der Regel die Hauptleidtragenden von Umweltkrisen sind. In den letzten Jahren war die Weiterleitung von Wasser aus den umliegenden Städten nach Isfahan eine der wichtigsten politischen Kontroversen im Land, die sogar die Spannungen zwischen den verschiedenen Regionen des Landes angeheizt hat. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Umleitung von Wasser aus den Karun-Zweigen in die Provinzen Isfahan, Yazd und Kerman. Da die in Zentraliran angesiedelten Schwerindustrien Wasser benötigen und die Lösung der Umleitung von Wasser aus den südlichen Gebieten in die zentralen Gebiete zu einer Verarmung der meisten südlichen Gebiete geführt hat. Die Verlagerung des Klimawandels in die südlichen Regionen und die Provinz Khuzestan hat beispielsweise einen Großteil der Umwelt und der Landwirtschaft zerstört. Die Folgen dieser Krise in den Randgebieten des Landes äußern sich in Form von Hungersnöten, Militarisierung der nicht zentral gelegenen Gebiete,  Migration und wirtschaftliche Instabilität sowie der Hinwendung zu informellen Ressourcen zur Deckung der wichtigsten Bedürfnisse.
Dies hängt aber auch eng mit der Unterdrückung der Geschlechter zusammen. Frauen sind in diesen Gebieten die Hauptleidtragenden der Wasserkrisen und beteiligen sich daher aktiv an Wasserprotesten. Wie die veröffentlichten Fotos zeigen, müssen Frauen, als diejenigen die die Hauptverantwortung für Haushalt und Hausarbeit tragen, tagsüber oft in den langen Schlangen stehen um Trinkwasser von mobilen Tankwagen zu bekommen, oder stundenlang zu den Quellen gehen um Wasser holen zu können. Diese Situation führt nicht nur dazu, dass sie mit der Zeit körperlich schwächer werden, sondern setzt sie auch einer Vielzahl von Krankheiten aus und hindert sie daran eigene Ziele zu entwickeln oder zu verfolgen, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen. Für einige dieser Frauen besteht sogar die Gefahr, auf dem Weg zu sterben. Andererseits ist der Verzicht auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen auch eng mit Umweltkrisen verbunden, weil dadurch die Erziehungsbedürfnisse der Familie zweitrangig werden und gleichzeitig der Bedarf an Arbeitskräften zur Reproduktion durch Heirat steigt.In Gebieten die unter Wasserarmut leiden verbringen Frauen einen guten Teil ihres Lebens damit, sich um die Menge und die gute Qualität des Wassers zu kümmern, das zum Trinken, Kochen, Baden, Händewaschen und zur Herstellung von Lebensmitteln benötigt wird, da dies in der Gesellschaft oft als Frauenarbeit gilt. Lohnfreie Arbeit zur Deckung der Grundbedürfnisse, einschließlich des Trinkwassers, macht ihren sozialen Status brüchiger und verringert die Möglichkeit einer Lohnarbeit. Dies festigt die Abhängigkeit dieser Frauen von ihren Familienvätern. Eine der Hauptursachen für die zunehmende häusliche Gewalt liegt darin, dass diese Frauen keine Alternative haben um ihre Situation zu ändern.Die Bürger der unteren Schichten, die in den südlichen, zentralen und östlichen Provinzen des Iran leben, sind stark von der Wasserkrise betroffen. Es gibt Gebiete wie Sistan und Belutschistan und den Südosten des Irans, die besonders unter dem Mangel an aktuellem Wasser leiden. Unter solchen Umständen und in Ermangelung von Pipelines oder Tankwagen bohren die Menschen Gräben, die als #Hutgh bekannt sind, und die Dorfbewohner nutzen sie als Wassertanks. Hutgh oder Hutk ist eine gebohrte Grube zur Wasserspeicherung die meist für den Viehverbrauch genutzt wird. In den letzten Jahren, als es in Belutschistan zu Wasserknappheit kam, nutzen die Menschen sie für Trinkwasser und im Haushalt. Viele Kinder haben in diesen tiefen Gruben ihr Leben verloren.  Diejenigen die zu den Seen gehen, um dort Wasser zu holen, werden manchmal von Krokodilen angegriffen und getötet. In den letzten Jahren sind mindestens 20 Kinder durch Ertrinken im Hungh gestorben. Darunter sind drei Grundschülerinnen, die im Jahr 2019 im Hungh starben, weil sie versuchten ihren Durst zu löschen. Eve, eine Baluchi-Tochter, war ein weiteres Opfer das im Jahr 2019 von einem Krokodil angegriffen wurde und eine ihrer Hände verlor.
Ursachen für so manch eine Wasserknappheit sind die für sie profitablen Finanzprojekte der Revolutionsgarden.  Sie handeln in der Logik des kapitalistischen Profits – ohne die geringste Rücksicht auf die Lebensbedingungen der Menschen und die Auswirkungen auf die Umwelt. Eines dieser unnötigen Projekte sind die zahlreichen Talsperren der IRGC, die wissenschaftlich nicht gerechtfertigt sind und der Plünderung der natürlichen Ressourcen der Bevölkerung dienen. Wenn eine Talsperre an einem Fluss gebaut wird, kommt es in dem Gebiet flussabwärts der Talsperre unweigerlich zu Wasserknappheit.  Das Ökosystem des Gebiets verändert sich im Laufe der Zeit, insbesondere durch die Übernutzung der Grundwasserleiter. Letzteres ist vor allem in den Ebenen um den Urmia-See im Nordwesten Irans der Fall wo Talsperren den Prozess der Austrocknung des Sees beschleunigt haben. Durch die anhaltende Dürre wird mehr Grundwasser für die Bewässerung genutzt, und die über Tausende von Jahren gebildeten natürlichen Tanks werden abgebaut, was zu Bodensenkungen geführt hat.
Die Wasserkrise hat bisher Millionen von Menschen aus ihren Häusern vertrieben und könnte in den nächsten zehn Jahren zu einer weitreichenden Migration von Millionen von Menschen führen. Es gibt jedoch kein kohärentes Programm der Regierung und insbesondere der Revolutionsgarden, die der Hauptausführende der Entwicklungspläne und ein wichtiger Faktor der Umweltkrise sind, um mit der Wasserkrise umzugehen. Die übliche Reaktion besteht oft darin, die repressiven Kräfte zu mobilisieren und zur Unterdrückung zu schicken. Im Jahr 2021 kam es in den beiden großen Provinzen Khuzestan und Isfahan zu umfangreichen Wasserdemonstrationen, bei denen mehrere Menschen von Einsatzkräften getötet und Hunderte verletzt wurden. In der Stadt Mahshahr wurde im Oktober 2019 auf die schlimmste und gewaltsamste Weise Protest niedergeschlagen. Sie liegt in einem der Gebiete, in denen die Trinkwassersituation sehr ernst ist.Auf regionaler Ebene gab es zwar noch keine direkte Konfrontation um Wasser, aber der Wettbewerb um die Ernte und die Kontrolle der Wasserressourcen zwischen dem Nahen Osten, insbesondere Afghanistan, Iran, der Türkei und dem Irak, hat zu zahlreichen Spannungen geführt.  Die Wasserfrage war oft eine der wichtigsten Vermittler politischer Transaktionen zwischen diesen Ländern, um die Proteste der Einwanderer in den Gastländern zu unterdrücken. So hat beispielsweise die Abhängigkeit des Iraks vom iranischen Wasser dazu geführt, dass der Iran der politischen Einmischung mit weniger offener Hand und weniger Hindernissen begegnet.

hier ein text von Analyse &kritik „“Gen Globaler Süden““

Warum sich die Klimabewegung dekolonisieren muss

Die Klimabewegung hierzulande ist an einem Scheideweg: NGOisierung oder wirkliche Strategie? Peter Odrich von Fridays for Future benennt das Problem in einem Gespräch zwischen Klimaaktivist*innen in ak 672 wie folgt: »Wenn wir keine strategische Linie haben, machen wir hier und da eine Kampagne, und es passiert, was wir NGOisierung nennen. Das bringt nur denen etwas, die mit der Presse reden.« Eine strategische Linie haben bedeutet, eine klare Vorstellung der Fronten und Kräfteverhältnisse, der schwachen Punkte und lokalen Vorteile zu haben.

Unser Punkt ist: Die Fronten befinden sich meist im Globalen Süden, wo die Menschen unter der Zerstörung ihres Landes und der kolonialen Ausbeutung durch meist multinationale Konzerne aus dem Globalen Norden leiden, die sich in ihren Heimatländern als grün präsentieren. Eine Strategie zu entwickeln, kann also nur bedeuten, den Menschen an diesen Fronten zuzuhören und sich von ihnen die Ziele und Schwachpunkte der Industrie und der multinationalen Klimaverbrecher*innen zeigen zu lassen.

Die Unternehmen des Globalen Nordens

Line Niedeggen, Pressesprecherin von Fridays for Future, sagt gegen Ende des erwähnten Interviews: »Wir haben in den Monaten begonnen, uns mit strukturellem Rassismus und ›most affected people und areas‹ (MAPA) zu befassen. Und das müssen wir noch vertiefen.« Genau darin sehen wir die Antwort auf mindestens zwei Probleme, die im Interview angesprochen werden. Erstens ist dieser Fokus ein Weg aus der Ziellosigkeit und dem unproduktiven Parlamentarismus. Zweitens kann er ein Weg sein, die Debatten um Antirassismus in konkrete Aktionen zu überführen und damit zu beginnen, die Form des modernen Kolonialismus zu bekämpfen, die eine der Hauptursachen der Klimakrise ist. Wir müssen uns zwischen Bewegungen des Globalen Südens und Nordens in Aktionen internationaler Solidarität zusammenschließen, die Punkte der Lieferketten der Klimaverbrecher*innen des Nordens verbinden und Druck gegen sie zu Hause aufbauen, wo es ihnen wehtun kann. Ein Beispiel wäre die diesjährige Ende-Gelände-Aktion als Teil eines der globalen Aktionstage von Shale Must Fall zu Fracking und Gas.

Ein Großteil der ökologischen Verwüstungen im Globalen Süden geht auf das Konto von Konzernen im Globalen Norden. Während die Unternehmen hierzulande um ihr grünes Image besorgt sind, werden im Globalen Süden Menschen ermordet, vertrieben, eingeschüchtert und ihre Lebensgrundlage rücksichtslos zerstört, ob in der Öl- und Gasförderung, insbesondere durch Fracking, in Gold-, Kupfer-, Lithium- und anderen Minen oder der Agrarindustrie. Das betrifft auch indigene und andere Frontgemeinschaften in entwickelten Ländern wie den USA und Kanada, wo sie ebenfalls dem Profit geopfert werden. Sie kann man vielleicht den Globalen Süden im Globalen Norden nennen.

Entlang dieser Linien müssen wir unsere Ziele bestimmen. Wir brauchen nur mit den Menschen vor Ort sprechen, um zu erfahren, wie wir helfen können – und das heißt vor allem: Auf welche Unternehmen wir Druck aufbauen müssen. Damit machen wir diesen Kampf konkret. »1,5°« und der Druck auf unsere Regierungen führt nur zu noch mehr Absichtserklärungen, Klimanotständen und Zielvorgaben. Oder wie Fridays-for-Future-Aktivist Tristan Linsmayer es ausdrückt: »Der Parlamentarismus hat einen integrativen Charakter. Er zielt darauf, dass wir mit am Tisch der Mächtigen sitzen. Dadurch eignen wir uns deren Logik an. Wir wollen aber den Tisch umwerfen.«

Den Tisch umwerfen – das muss bedeuten: die Unternehmen, deren Profit auf der Zerstörung im Globalen Süden basiert, eines nach dem anderen auszuschalten. Die Firmenzentralen sind die Orte, wo wirkliche Macht liegt. Oftmals ist der Jahresgewinn dieser Konzerne höher als das Bruttoinlandsprodukt des gesamten Landes, in dem sie tätig sind. Gepaart mit der grassierenden Korruption ist es daher absurd zu erwarten, dass diese Länder in der Lage sind, die Aktivitäten dieser multinationalen Konzerne einzuschränken oder zu kontrollieren: Die lokalen Regierungen sind eher deren Sekretär*innen. Es kann nur darum gehen, die Machtverhältnisse so zu verschieben, dass diese Verbrechen gestoppt werden können, entweder durch die Demontage der Unternehmen oder durch Druck, um ihnen zu verbieten, im Ausland das zu tun, was ihnen zu Hause verboten ist. Die Kampagne Shell Must Fall hat dazu jüngst einen ersten strategischen Entwurf vorgelegt. Auch die Menschen dieser Kampagne machen klar: Eine globale Krise muss global bekämpft werden; transnationale Unternehmen können nicht nur in nationalen Parlamenten besiegt werden. Es braucht koordinierte Aktionen entlang der Lieferketten.

Der nächste Schritt für die Klimabewegung müsste sein, den Antirassismus in die Tat umzusetzen.

Schwachpunkte können zum einen Unternehmen sein, gegen die es etliche Belege für Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen aller Art gibt – wie es etwa bei Shell der Fall ist. Zum anderen können es kleine Unternehmen und Projekte sein, die den Boden bereiten für die Global Player. Die geplanten Fracking-Bohrungen im Okavango-Delta wären ein Beispiel. Das führende Unternehmen dort, ReconAfrica aus Kanada, ist vergleichsweise klein und anfällig für Druck. Die Menschen vor Ort nehmen den Kampf auf, und es gibt bereits eine kleine globale Kampagne, die auf Unterstützung wartet. Wenn wir in solchen Fällen eine lokale Übermacht kreieren und Erfolge erringen, hat das Auswirkungen auf andere Konflikte. Ohne solches strategisches Denken verliert sich die Bewegung mit ihrem Fokus auf die Parlamente in der Tat in der Selbstdarstellung von Einzelpersonen und deren Karrieren – oder aber in wirkungslosem Gerede, in dem keine substanziellen Interessen und Machtstrukturen berührt werden: NGOisierung.

Gelebter Antirassismus

Die Klimabewegung befindet sich in einem längst überfälligen Prozess der intensiven Auseinandersetzung mit Rassismus. Leider bleibt diese Auseinandersetzung oft in einer unproduktiven Selbstreflexion stecken, in der sich dann letztlich doch alles um eines dreht: um das reflektierende Subjekt, in diesem Fall also die weiße Klima­bewegung. Wir denken, dass ihr nächster Schritt darin bestehen müsste, Antirassismus in die Tat umzusetzen. Wie? Indem sie die kolonialen Klimaverbrechen der Konzerne aus den eigenen Ländern im Rest der Welt angeht. Indem sie die Frontlinien im Globalen Süden unterstützt und die Stimmen dieser Menschen in den Machtzentren der Konzerne, die ihre Heimat zerstören, verstärkt.

Darin liegt ein Paradigmenwechsel für die Klimabewegung: Der Kampf gegen Umwelt- und Klimakatastrophe wird endlich nicht mehr abstrakt als »Kampf für die Zukunft« bestimmt, sondern als der gegenwärtige Überlebenskampf, der er für viele Menschen schon lange ist. Was bedeutet das Gerede von Antirassismus, wenn dieser oft rassistisch codierte Kampf, der indigene Menschen mit am härtesten trifft, nicht unterstützt wird? Und was kann »Unterstützung« anderes bedeuten, als eine gemeinsame Strategie über einzelne Aktionen hinaus zu entwickeln?

Dafür braucht es kontinuierlichen Austausch. Warum gibt es nicht auf jeder Klimademo einen Livestream zu befreundeten Aktivist*innen im Globalen Süden? Warum finden Strategiekonferenzen ohne Menschen aus dem Globalen Süden statt? Wir denken, dass es ein Trugschluss ist, wenn die Klimabewegung hierzulande erst einmal »ihre eigenen Sachen« organisiert bekommen möchte, um dann in den Austausch mit den Frontlinien zu treten. Das, was hier in Strategiekonferenzen gesucht wird – klare Ziele und Aktionen, die schwache Punkte treffen, und wirkliche Siege erringen – können uns nur gemeinsame Strategiekonferenzen mit dem Globalen Süden geben. Das, was wir in solchen Konferenzen suchen, ist bereits da: nicht hier, im kolonialen Europa, sondern im Globalen Süden.

Die Menschen an den Frontlinien haben viele der Antworten, die Europa zur Bekämpfung der Klimakrise fehlen. Die gleiche koloniale Mentalität eines imperialen Europas, die für einen Großteil des Problems verantwortlich ist, wird nicht die Antworten liefern, um es zu lösen. Die europäische Klimabewegung muss die Demut haben, auf die Stimmen der Frontlinien zu hören und sich in den Dienst dieser Kämpfe zu stellen, um Hand in Hand zu kämpfen – nicht als »Retter*in«, sondern als Gleiche in einer globalen Herausforderung ums Überleben.

Sehen wir das nicht, verlieren wir uns in endlosen Debatten um kleinliche ideologische Differenzen, die in Anbetracht des Überlebenskampfes des Globalen Südens völlig bedeutungslos sind. In diesem Kreisen der Klimabewegung um sich selbst sehen wir ein Erbe des kolonialen Denkens, das nur Europa als den Dreh- und Angelpunkt der Welt gelten lassen kann. Die Klimabewegung zu dekolonisieren muss daher heißen, den Globalen Süden zu unserem strategischen Dreh- und Angelpunkt zu machen.

Ansatzpunkte

Aktuell gibt es eine Reihe von Aktionen und Zielen, die den Grundstein für diesen strategischen Paradigmenwechsel legen könnten. Dazu gehört vor allem die diesjährige Ende-Gelände-Aktion, die Teil eines globalen Aktionstages war, zu dem in verschiedenen Ländern Nord- und Südamerikas, Afrikas und Europas erfolgreich mobilisiert wurde. Menschen aus der ganzen Welt haben verschiedene Bereiche der fossilen Industrie in den Fokus genommen und ihre Stimmen wurden in den Machtzentren hörbar, wie zum Beispiel auf dem Internationalen antikolonialen Panel Ende Juli in Hamburg.

An diesem Aktionstag haben sich auch Menschen auf das konzentriert, was wir – aus den oben genannten Gründen – für ein schwaches Glied in der Kette der fossilen Industrie halten: die geplanten Fracking-Bohrungen im Okavango-Delta in Namibia und Botswana. Dieser Tag kann der Start der Dekolonisierung der Klimabewegung gewesen sein. Dafür müssen wir die aufgebauten internationalen Verbindungen vertiefen – auch, um uns auf die COP26 (UN-Klimakonferenz) in Glasgow vorzubereiten. Nico Graack

ist freier Autor und Philosoph. Er engagiert sich gegen die sozial-ökologische Marktkatastrophe. Esteban Servat

ist Biologe und Aktivist. Er musste Argentinien verlassen, weil er sich mit der Gasindustrie angelegt hatte.