Gegen Rassistische Hetze und Kriminalisierung der Palästina-Solidarität in Göttingen & überall

Auf der Demo des „Bündnisses gegen Rechts“ am 16. März kam es zu rassistischen Angriffen auf Aktivist*innen der linken Palästina- Solidarität mit migrantischem Hintergrund.

Die Students for future haben dazu auf Instagram ein Reel und eine Stellungnahme veröffentlicht.

Stellungnahme vom Flüchtlingscafe zu Ereignissen bei der Göttinger Demo
des „Bündnisses gegen Rechts“ am 16. März 24:

Auf der Demo des „Bündnisses gegen Rechts“ am 16. März kam es zu
rassistischen Angriffen auf Aktivist_innen der linken Palästina-
Solidarität mit migrantischem Hintergrund. Die Students for Palestine
haben dazu auf Instagram ein Reel und eine Stellungnahme
veröffentlicht.
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(@studentsforpalestine_goe)
Das Flüchtlingscafe Göttingen verurteilt diesen Angriff zutiefst! Wir
bedauern es sehr, wie das „Göttinger Bündnis gegen Rechts“ nach der
Musik der herrschenden staatlichen Propaganda tanzt.
Der deutsche Staat betreibt seit Monaten eine medial breit flankierte
rassistische Kampagne unter Deckmantel eines vorgeblichen „Kampfes
gegen Antisemitismus“.
Während der israelische Staat den Bewohner_innen des größten
Freiluftgefängnisses der Welt, Gaza, die Lebensgrundlagen systematisch
entzieht und zwei Millionen Menschen mit abertausendfachen Tod
bringenden Bombardements überzieht, hat sich in Deutschland eine
reaktionäre nationale Einheit hinter den Staat Israel gestellt. Sie
versteht und inszeniert sich dabei als „Verteidigerin der westlichen
‚Zivilisation'“ und gibt vor, damit „jüdische Leben“ schützen zu
wollen. Dass in den vergangenen Tagen selbst Mitglieder der
Bundesregierung die israelische Regierung zur Mäßigung aufforderten,
ist pure Heuchelei, denn von Deutschland gelieferte Waffen und
Militärlogistik werden weiterhin für den Massenmord an
palästinensischen Zivilist_innen durch das israelische Militär
eingesetzt. Und andererseits versuchen mittlerweile auch deutsche
Politiker_innen ihre Tatbeteiligung an genozidalen Handlungen bzw. an
Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu vertuschen, die ihnen aktuell
vor internationalen Strafgerichtshöfen vorgeworfen werden.
Leider reicht die reaktionäre Einheit bis in links liberale und auch
sich immer noch linksradikal verstehende bzw. linksradikal gebärdende
Kreise hinein.
Dabei nimmt auch hierzulande die Repression gegen die palästina-
solidarischen Menschen und gegen die, die als palästina-solidarisch
wahrgenommen werden, von Tag zu Tag zu. Nicht einmal Wut und Trauer
über die Massaker öffentlich zu äußern und dabei die Täter_innen
anzuklagen, wird diesen Menschen noch zugestanden.
Wir sagen: Die Fortsetzung einer Politik, die seit Jahrzehnten
ethnische Säuberungen betreibt, und diese mittels der Besatzungspolitik
und mittels der Siedlungspolitik und anderen Landraubes in den
besetzten Gebieten ständig weiter eskaliert, wird niemals ein
friedliches Zusammenleben zwischen sich palästinensisch verstehenden
Menschen und sich israelisch verstehenden Menschen hervorbringen
können. Und den Aussagen führender israelischer Politiker_innen
zufolge, war dies von ihnen in den letzten Jahrzehnten und auch für die
Zukunft ohnehin nie beabsichtigt worden.
Solange diese Besatzung herrscht und aufrecht erhalten wird, wird es
Widerstand dagegen geben – auch in Europa und auch in Deutschland. So
gilt unsere Solidarität den unterdrückten palästinensischen Menschen,
denen Grundrechte abgesprochen werden und denen das Recht auf Protest
genommen wird. Die Repression in Deutschland zeigt sich in vielen
Verhaltensweisen gegen Palästinenser_innen und palästinensisch gelesene
Menschen: körperliche Gewalt, Einschüchterung, Arbeitsplatzverluste
oder Androhungen derselben, Kontrollen, Festnahmen, Strafanzeigen,
nächtliche Hausdurchsuchungen, Auflösungen von Versammlungen und
öffentliche Stigmatisierung.
Das Vorgehen richtet sich in seiner Mehrheit gegen Migrant_innen und
geht hin bis zu Abschiebebedrohungen. Dabei werden in pauschaler Weise
alle mit Palästina solidarischen Menschen mit Antisemit_innen und/oder
Islamist_innen gleichgesetzt, egal ob und wie sehr sie sich von Hamas
und Co. distanzieren.
Mit einer Darstellung der Palästina-Solidarität als antisemitisch und
demokratiefeindlich, wie sie auch die Demoleitung des Göttinger
„Bündnisses gegen rechts“ am vergangenen Samstag hier in Göttingen mit
betrieben hat, wird der von staatlicher Seite betriebene Rassismus
gegen muslimisch und arabisch gelesene Migrant_innen gestützt und
gefördert. Tatsächlich gibt es mehrere islamistische Gruppen, die die
seit dem neuen Gaza-Krieg wachsende Solidarität mit palästinensischen
Menschen ausnutzen machen wollen. Doch die pauschale Verallgemeinerung,
dass alle pro-palästinensischen Versammlungen und Demonstrationen Horte
des Islamismus seien, ist schlichtweg falsch. Allerdings fallen
derartige Behauptungen und Begründungen auf fruchtbaren Boden,
schließlich propagierten faschistische und rechte Akteur_innen seit
Jahren in Europa den „Untergang des Abendlandes“ durch Zuwanderung
muslimischer Menschen (PEGIDA, AfD, und Teile aller übrigen
Bundestagsparteien). Und aufgrund des leider immer noch all zu gut
funktionierenden Sündenbock-Prinzips wird die historische Verantwortung
der deutschen Bevölkerung für den eliminatorischen Antisemitismus im
Holocaust auf alle arabischen Menschen projiizert – es sei denn, auch
sie unterstützen ausdrücklich die aktuelle israelische Kriegsführung.

Deutsche Medien wie auch all zu viele linke Gruppierungen zeigen mit
dem Finger auf jede Parole einer palästinensischen Demo, die irgendwie
antisemitisch ausdeutbar sein könnte, „vergessen“ aber die
Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt, die von der israelischen
herrschenden Klasse gegen die palästinensischen Menschen seit
Jahrzehnten ausgeübt und immer weiter ausgebaut wird, wie sie die
palästinensischen 35.000 Menschen „vergessen“, die innerhalb der
letzten 5 einhalb Monate massakriert wurden. Und sie „vergessen“ die
zehn- oder auch hunderttausenden Bewohner_innen von Gaza, denen Jahren
an Lebenserwartung in Folge der israelischen Kriegführung genommen
werden. Und sie „vergessen“ die abertausende von Menschen, die durch
die israelische Kriegsführung schwerst traumatisiert wurden und
weiterhin werden, und auch „vergessen“ sie all das Mitleiden der
Angehörigen dieser Menschen in der palästinensischen Diaspora. Wie geht
das? Wie können sich Linke, die einmal für die Gleichheit einstanden,
sich derart selektiv solidarisch nur mit der jüdisch-israelischen
Gesellschaft verhalten? Und obendrein so tun, als ob ihre eigene
Kriegsbefürwortung von allen jüdischen Menschen, ob israelisch oder
anderer Nationalität, geteilt würde? Welche Gehirn- und Gefühlsmassage
in antideutsch geprägten Uni-Szenen, Buchverlagen, NGOs und
Kultureinrichtungen kommt hier zum Tragen? Welche Denkverbote,
Fühlverbote und Schweigebote innerhalb der Linken werden hier
kontinuierlich und massiv von den Protagonist_innen dieser Szene
durchgesetzt?
Es kann nie darum gehen, dass Leiden der israelisch-jüdischen Menschen
zu vergessen, die Opfer des Terrors von Hamas wurden, oder es in Abrede
zu stellen oder zu relativieren. Es kann nicht darum gehen, eine
reaktionär-islamistische Organisation wie Hamas zu
Befreiungskämpfer_innen zu stilisieren und darüber hinweg zu gehen,
welche innerpalästinensische Repression und welche Massaker von dieser
Organisation verübt wurden.
Wir sind enttäuscht und entsetzt darüber, dass die staatlichen
Repressionen gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung und gegen die
‚pro-sofortigen-und-dauerhaften-Waffenstillstand’sbewegung nun in
Göttingen auch durch linksliberale bis linke Bündnisse aufgegriffen und
ausgeübt werden.
Wir finden es auch in hohem Maße widerwärtig wie sich Einzelpersonen
der antideutschen/’israel-solidarischen‘ Szene in Funktionspositionen
der Organisation eines sich antifaschistisch begreifenden Bündnisses
begeben, um dann ihre Stellung dafür zu missbrauchen, rassistische und
antimuslimische Diffamierung und den Ausschluss von Mitdemonstrierenden
zu betreiben und gleichzeitig jeglichen Protest gegen die
rechtsradikalen und faschistischen Parteien, die die Mordpolitik der
israelischen Regierung mitbestimmen, zu unterbinden. Wenn die derart
geprägte Demoleitung dazu aufhetzt, die Parole „Deutschland finanziert,
Israel bombardiert“ von den anderen Demoteilnehmer_innen spontan als
„antisemitisch“ bewerten zu lassen und von der Demo auszuschließen,
zeigt dies gleich mehrere Dinge: 1. Die Personen verfügen über
demagogisches Handswerkszeug. 2. Sie haben die Machtposition und das
Backing anderer Bündnisteilnehmer_innen, diese Demagogie in die Praxis
umzusetzen. 3. Sie versuchen den Realitätsgehalt der in der Parole
getroffenen Aussage nicht nur für den Moment in Abrede zu stellen,
sondern vielmehr dauerhaft zum Tabu zu machen, da ja in Gemeinschaft
befunden worden wäre, dass die Parole „tatsächlich“ antisemitisch sei.

  1. Sie verschließen selbst die Augen vor der Realität. 5. Sie sind
    derart eingewoben in kolonial-rassistische Verhältnisse, dass sie zu
    keinem selbstkritischen Innehalten bereit oder in der Lage wären, was
    sie daran hindern könnte, rassistische Vorstellungen auf einer Antifa-
    Demo zu propagieren. 6. Sie beteiligen sich aktiv an der Ausgrenzung
    arabischer und muslimischer Menschen und solcher, die so gelesen
    werden, wenn diese es wagen, auf einer antifaschistischen Demonstration
    gegen faschistoide und massenmörderische (wenn nicht genozidale)
    Paktiken der israelischen Regierung zu protestieren. 7. Sie denunzieren
    die Positionen jüdischer Menschen, die sich mit dieser Form pro-
    palästinensischen Widerstands solidarisieren, als antisemitisch. 8. Sie
    bekräftigen den Anspruch auf Weisheit und Erkenntnis und vor allem den
    Anspruch auf die Definitionsmacht darüber, was Antisemitismus ausmacht,
    auch wenn diese Definition auch unter jüdischen – wie auch unter nicht-
    jüdischen – Antisemitismusforscher_innen umkämpft (‚umstritten‘) ist je
    nach Identifikation mit der Verfasstheit des israelischen Staates.
    Wäre die Kritik an den genannten Parolen stichhaltig, hätten wir kein
    Problem damit, denn auch Antisemitismus darf keinen Raum auf linken
    Demos erhalten.
    Leider gibt nach unserer Auffassung einen blinden Fleck in der Theorie
    bzw. im Geschichtsverständnis einiger Linker. Das
    „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, in der Form, wie es diesem Staat
    zuerkannt wird, bedeutet in der Praxis das Recht, Landraub,
    systematische Entrechtung und rassistische Diskriminierung von
    Millionen Palästinenser_innen und auch den gegenwärtigen Massenmord an
    ihnen im Krieg zu akzeptieren.
    Ein „Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser_innen“ kann es bei den
    Anhänger_innen der selektiven Logik nicht geben. Haben palästinensische
    Menschen denn kein Recht, sich gegen Zwangsräumungen aus ihren Häusern
    in Jerusalem, gegen die Zerstörung ihrer Häuser, Läden und Moscheen und
    gegen den Bau von Siedlungen, Mauern und Zäunen in den
    palästinensischen Gebieten zu wehren?
    Stell dir vor: Ein_e Siedler_in kommt zu dir und behauptet: Dieses
    Stück Land wäre das seine/ihre und dein Grundstück sei auch sein/ihr
    Land. Weil ihre Vorfahren aus der Ethnie bzw. religiösen Zugehörigkeit,
    mit der sie sich identifiziert, ungefähr in der Region vor mehr als
    2.000 Jahren gelebt haben würden. Den/die Siedlerin interessiert dabei
    nicht, wie und ob du deinen Lebensunterhalt ohne das Land bestreiten
    kannst. Jeglicher Widerstand gegen die Landnahme der Siedler_innen
    führt zu gesetzlichen Zwangsmaßnahmen.
    In deutschen Medien wird Vokabular gesucht und benutzt, um Konflikte
    und Kriege zu rechtfertigen: Wer hat als erstes angefangen? Obwohl die
    palästina-solidarischen Menschen, die in Göttingen demonstrierten, zum
    wiederholten Mal die schockierenden Verbrechen der Hamas am 07. Oktober
    23 wie auch ihre Täter verurteilt haben, interessiert sich die deutsche
    Öffentlichkeit dafür nicht. Auch, worum es eigentlich geht in diesem
    Konflikt, wird ignoriert. Wenn wir den Palästina-Israel-Konflikt
    zusammenfassend betrachten wollen, kommen wir nicht darum herum, lange
    und verschlungene Wege zu beschreiten, was wir hier nur andeuten
    können: Die Gründung des Staates Israel besaß im Kern eine
    kolonialistische Dimension, sie war eine Art von rassistischen Motiven
    mitbestimmter Siedlungspolitik im 20. Jahrhundert, die ohne den
    eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen und den Antisemitismus in
    den Staaten, die jüdische Geflüchtete hätten aufnehmen können, und ohne
    die damalige geopolitische Situation, nicht zu verstehen ist. Als
    Siedlerinnen-kolonialistische Unternehmung beruhte die Staatsgründung
    auf der Vertreibung von über 80% der indigenen palästinensisch-
    arabischen Bevölkerung im britischen Protektoratsgebiet Palästina. Bis
    heute wird dieser Prozess der Vertreibung weiter getrieben.
    Palästinenser_innen innerhalb des israelischen Staatsgebiets sind
    tagtäglich mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert. Diese
    Diskriminierung ist in zahlreichen Gesetzen festgeschrieben und in der
    Architektur der israelischen Rechtsprechung fest verankert. Dies
    geschieht nicht seit dem 07. Oktober 2023, sondern über acht Jahrzehnte
    hinweg – unter weitgehendem Schweigen der Linken in Deutschland.
    Wir wissen, dass auch Teile der Linken in Deutschland antisemitische
    Positionen vertreten haben und manche dies auch heute noch tun. Es kann
    uns nicht darum gehen, Partei für eine Ethnie oder eine Religion zu
    ergreifen. Es darf nicht sein, dass wir als radikale Linke Rassismus
    bekämpfen, und dabei Antisemitismus Vorschub leisten, genauso wenig wie
    es sein darf, dass wir Antisemitismus bekämpfen und dabei Rassismus
    Vorschub leisten. Wir müssen uns darum bemühen, nicht in die
    Fallstricke ethnisch-religiöser Logiken hinein zu geraten. Vielmehr
    müssen wir die Möglichkeiten erkennen, die Kriegslogik zu untergraben.
    In einer Zeit, in der auch in Deutschland Krieg und Militarismus
    normalisiert werden wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr, in einer
    Zeit, in der „der Westen“ Waffen an Israel, die Türkei, Ägypten und
    andere kaufwillige Staaten liefert und gleichzeitig über die angebliche
    Wahrung von Menschenrechten spricht.
    Bündnis gegen die Logik des Krieges, Göttingen
    Flüchtlingscafe Göttingen

fluechtlingscafe@riseup.net

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Staat und Nazis –  Hand in Hand Faschismus auf allen Ebenen bekämpfen!