Aufruf zu transnationalen Protestaktionen am 30. Mai : Die Isolation durchbrechen,
Die Isolation abbrechen, eine europäische Aufenthaltsgenehmigung fordern!
Ein transnationales Statement über die Kämpfe der Migrantinnen in der Zeit der
Pandemie
Die Pandemie des Coronavirus hält uns nicht davon ab, gegen Rassismus und Ausbeutung von
migrantischen Arbeitskräften zu kämpfen. Wir protestieren gegen die elenden Lebensbedingungen in
Erstaufnahmeeinrichtungen, in Gemeinschaftsunterkünften, in den improvisierten Camps der
Illegalisierten und in Abschiebezentren, in denen größte Ansteckungsgefahr herrscht. Viele von uns
weigern sich, ohne angemessene Schutzmaßnahmen zu arbeiten. Andere kehren in ihr Herkunftsland
zurück. Wieder andere leisten Widerstand gegen Abkommen zwischen einigen EU und
außereuropäischen Staaten, die dazu dienen billige, allzeit abrufbare Arbeitskräfte zu rekrutieren und
den Unternehmen zu Verfügung zu stellen. Viele von uns streiken in den Fabriken und Lagerhallen,
auch außerhalb Europas, Seite an Seite mit Staatsbürgern. Für uns sind die Legalisierungen (aller
oder eines Teils) der illegalisierten Geflüchteten oder ihre gezielte Rekrutierung als Arbeitskräfte wie
sie u. A. Portugal, Frankreich, oder Deutschland verfolgen – durch Spezialflüge für Pflegepersonal und
landwirtschaftliche oder saisonale Arbeitskräfte – keine Lösung. Sie alle dienen nur der Deckung des
Produktionsbedarfs. Wir wollen keinen Zettel, der unsere Ausbeutung legalisiert: Wir fordern
Bewegungsfreiheit, ein Ende des institutionalisierten Rassismus und der Ausbeutung! Wir dulden nicht
mehr, dass unser Leben von Dokumenten, Arbeits- und Familienverhältnissen bestimmt wird!
Die inzwischen global gewordene Pandemie zeigt, dass migrantische Arbeitskräfte zwar als
unverzichtbar gelten, das Leben dieser Männer und Frauen aber nicht. Sie lassen uns im Meer oder vor
den Toren Europas sterben, sie sperren uns in Gemeinschaftsunterkünfte oder Abschiebezentren,
kündigen uns, und gefährden damit unsere Aufenthaltstitel, sie nehmen in Kauf, dass wir obdachlos auf
den Straßen leben. Unsere Arbeitskraft dagegen ist immer gefragt um Alte, Kinder und Kranke zu
pflegen, private Häuser und Büros zu reinigen, um Obst und Gemüse zu ernten bevor es auf den
Feldern vergammelt, um die Fabriken und Lagerhallen in Betrieb zu halten dort wo man eilig die
Produktion wieder hochfährt. In Europa so wie überall: Staaten nutzen die Pandemie um
migrantische Arbeitskräfte als schlichtes Mittels der Profitrettung darzustellen und hochflexibel an den
Orten und für den Zeitraum einzusetzen, wo und solange sie eben gerade gebraucht werden. Unsere
Leben sind nur etwas Wert solange wir jemand anderem als uns selbst zu Gewinn verhelfen:
darauf sind nationale Immigrationsgesetze, europäische Politiken und internationale Abkommen
ausgerichtet.
Besonders heute dürfen sich unsere Kämpfe nicht von nationalen Grenzen und Gesetzen
aufhalten lassen, die uns von unseren Arbeitsgebern, unseren Einkommen und
Familienzusammenführungen abhängig machen. Darum müssen wir die Isolierung unserer Kämpfe
durchbrechen: Wir haben Grenzen überschritten und fordern sie jeden Tag heraus. Wir lassen uns nicht
von dem wirtschaftlichen Kalkül einzelner Staaten abhängig machen. Wir haben bereits in der
Vergangenheit in Frankreich, in Italien und in anderen europäischen Ländern gemeinsam gestreikt und
demonstriert. Heute, wo die europäischen Staaten sich organisieren um migrantische Arbeitskräfte
noch mehr auszubeuten und den institutionellen Rassismus der dies unterstützt auszubauen, ist es
umso wichtiger, dass wir eine gemeinsame Stimme finden.
Für all diejenigen, die seit Jahren mit zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen leben, für die, die
jahrelang in Illegalisierung leben, für die, die ihren Aufenthaltstitel durch die Pandemie verlieren
werden, für die Neuankömmlinge deren Asylgesuch abgelehnt wurde, für diejenigen, die die Gewalt der
Grenzen in Europa und außerhalb zu spüren bekommen, für die, die sexuelle Gewalt in den libyschen
Camps und anderswo erleben: Wir fordern europäische und bedingungslose Aufenthaltstitel,
unabhängig von Familie, Einkommen und Arbeitsverhältnissen! Wir verurteilen rassistische
Politik, für die unsere Arbeit unverzichtbar ist, aber unsere Leben opferbar. Es ist an der Zeit, sich über
Grenzen hinweg einzusetzen und unsere Freiheit und das Ende der Ausbeutung einzufordern.
Collectif des Travailleurs Sans-Papiers de Vitry
Coordinamento Migranti Bologna