Die Gräueltaten des Krieges werden zur Rechtfertigung neuer Gräueltaten benutzt

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Der Krieg ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muss aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegführenden. Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muss jene vorbereiten und begleiten.“ (Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie/Junius-Broschüre, 1915) Die schrecklichen Zusammenstöße, die wieder einmal den Nahen Osten mit Blut beflecken, bestätigen erneut, was die große Revolutionärin Rosa Luxemburg 1915 im Gefängnis schrieb.

Die Milizen der Hamas, die am 7. Oktober 2023 grausame Verbrechen gegen die israelische Zivilbevölkerung – Frauen, Kinder und alte Menschen – begingen, konnten sich nur aufgrund einer Konditionierung, einer systematischen Gehirnwäsche durch die islamistische Organisation welche den Gazastreifen dirigiert, so barbarisch verhalten.

Wenn heute die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung die kriminellen Bombardierungen und die Bodenoffensive gegen die Bewohner des Gazastreifens billigt, die bereits Tausende von zivilen Todesopfern gefordert haben, so liegt das daran, dass sie durch das Massaker vom 7. Oktober ein schreckliches Trauma erlitten hat, aber auch daran, dass auch sie jahrzehntelang Opfer einer Konditionierung durch die israelischen Behörden und die verschiedenen Parteien der herrschenden Klasse war.

Heute, mit dem Krieg zwischen dem Staat Israel und der Hamas, sind wir wieder einmal Zeuge, wie die verschiedenen politischen Kräfte, die für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung eintreten, eine Methode anwenden, die die herrschende Klasse seit Beginn des 20. Jahrhunderts in großem Stil zur Rechtfertigung der kriegerischen Barbarei eingesetzt hat: das Hervorheben der vom „Feind“ begangenen Gräueltaten, um die eigenen Gräueltaten zu rechtfertigen. Und an Beispielen mangelt es nicht im gesamten 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert, in dem das kapitalistische System in seine dekadente Phase eintrat.

Zwar gab es schon lange vor dieser Zeit Kriege, und ihre Rechtfertigung durch die Herrschenden begleitete sie immer, aber die Kriege der Vergangenheit hatten nie die Form eines totalen Krieges angenommen, der alle Ressourcen der Gesellschaft mobilisierte und die gesamte Bevölkerung mit einbezog, wie es ab 1914 der Fall wurde. Und es war der Erste Weltkrieg, in dem die Propaganda zur Mobilisierung der größten Teile der Bevölkerung eines Landes von den Regierungen der kriegführenden Länder in organisierter und systematischer Weise übernommen wurde.

Die Geständnisse der Verteidiger der kapitalistischen Ordnung
Wir haben in unserer Presse bereits einen sehr gründlichen Artikel über die Propaganda geschrieben, die „zum systematischen Morden“ dazu dient, “ bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch“ zu erzeugen, wie Rosa Luxemburg schrieb. Wir empfehlen unseren Lesern, den gesamten Artikel „Die Geburt der totalitären Demokratie“[1] aus dem Jahr 2015 zu lesen, aus dem wir hier nur einige kurze Auszüge zitieren.

Insbesondere wird in diesem Artikel ausführlich ein 1927 veröffentlichtes Werk von Harold Lasswell mit dem Titel Propaganda technique in the World War[2] zitiert. Hier einige Passagen daraus:

„Die psychologischen Widerstände gegen den Krieg sind in den modernen Nationen so groß, dass jeder Krieg als Verteidigungskrieg gegen einen bedrohlichen, mörderischen Angreifer erscheinen muss. Es darf keine Zweideutigkeit darüber geben, wen die Öffentlichkeit hassen soll. Der Krieg darf nicht auf ein Weltsystem zur Regelung internationaler Angelegenheiten zurückzuführen sein, auch nicht auf die Dummheit oder Bösartigkeit aller regierenden Klassen, sondern auf die Raffgier des Feindes. Schuld und Arglosigkeit müssen geographisch bewertet werden, und die ganze Schuld muss auf der anderen Seite der Grenze liegen. Wenn der Propagandist den Hass des Volkes mobilisieren will, muss er dafür sorgen, dass alles in Umlauf gebracht wird, was die alleinige Verantwortung des Feindes begründet. Unter bestimmten Umständen, die wir noch näher erläutern werden, kann von diesem Thema abgewichen werden, aber es muss weiterhin das Leitmotiv sein. Die westeuropäischen Regierungen können nie ganz sicher sein, dass ein klassenbewusstes Proletariat innerhalb der Grenzen ihrer Autorität den Klängen des Krieges folgt.“

Propaganda „ist ein Zugeständnis an die Rationalität der modernen Welt. Eine gebildete Welt zieht es vor, sich von Argumenten und Nachrichten zu ernähren (…) Der ganze Apparat der verbreiteten Gelehrsamkeit popularisiert die Symbole und Formen des pseudo-rationalen Appells: der Wolf der Propaganda zögert nicht, sich im Schafspelz zu verkleiden. Alle wortgewandten Männer der Zeit – Schriftsteller, Reporter, Redakteure, Prediger, Dozenten, Lehrer, Politiker – werden in den Dienst der Propaganda gestellt, um die Stimme eines Meisters zu verstärken. Alles geschieht mit dem Anstand und der Sorgfalt der Intelligenz, denn dies ist eine rationale Epoche, und sie verlangt, dass ihr rohes Fleisch von geschickten Köchen gekocht und garniert wird. (…) Eine neue Flamme muss das Krebsgeschwür des Dissenses ausbrennen und den Stahl des kriegerischen Enthusiasmus härten“ (Lasswell, Seite 221)

„Um den Hass des Volkes gegen den Feind zu mobilisieren, muss die gegnerische Nation als bedrohlicher, mörderischer Aggressor dargestellt werden (…) Durch die Ausarbeitung von Kriegszielen wird die hinderliche Rolle des Feindes besonders deutlich. Stellen Sie die gegnerische Nation als satanisch dar; sie verstößt gegen alle moralischen Normen (Sitten) der Gruppe und beleidigt ihr Selbstwertgefühl. Die Aufrechterhaltung des Hasses hängt davon ab, dass die direkten Darstellungen des bedrohlichen, hinderlichen, satanischen Feindes durch Zusicherungen des endgültigen Sieges ergänzt werden.“ (Lasswell, Seite 195)

Die Lektüre dieser Passagen, die Rosa Luxemburgs Zeilen auf bemerkenswerte Weise illustrieren und ergänzen, könnte den Eindruck erwecken, Lasswell sei ein militanter Kämpfer gegen den Kapitalismus gewesen. Das ist mitnichten der Fall, er war ein herausragender amerikanischer Akademiker, der zahlreiche Bücher über Politikwissenschaft veröffentlichte und dieses Fach von 1946 bis 1958 an der renommierten Yale-Universität lehrte. In seinem 1927 erschienenen Werk befürwortete er zum Abschluss seiner Arbeit eine staatliche Kontrolle der Kommunikationstechniken (Telegraf, Telefon, Kino und Radio) und stellte seine Fähigkeiten zeitlebens in den Dienst der amerikanischen Bourgeoisie, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als er Forschungsdirektor für Kommunikation und Krieg in der Library of Congress (der wichtigsten und renommiertesten Bibliothek der USA) war und gleichzeitig in der Propagandaabteilung der Armee arbeitete.

Der Krieg des Lagers des GUTEN gegen das Lager des BÖSEN
Wie Lasswells Schriften auf anschauliche Weise zum Ausdruck bringen, geht es für jeden kriegführenden Staat darum, den bekämpften Feind als Verkörperung des BÖSEN darzustellen, um sich selbst als herausragenden Vertreter des GUTEN zu präsentieren. In der Geschichte ab 1914 gibt es zahlreiche Beispiele, von denen wir hier nur einige nennen können.

In unserem Artikel aus dem Jahr 2015 heißt es: „Großbritannien nutzte die Besetzung Belgiens durch Deutschland voll aus, nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus, da die deutsche Invasion in Wirklichkeit schlicht und einfach die britischen Kriegspläne durchkreuzte. Sie verbreitete Geschichten über die makabersten Gräueltaten: Deutsche Truppen töteten Babys mit Bajonetten, kochten Suppe aus Leichen, banden Priester kopfüber an den Glockenklöppel ihrer eigenen Kirche usw.“.

Das französische Bürgertum stand dem in nichts nach: Auf einer Propaganda-Postkarte findet sich ein Gedicht, in dem ein Soldat seiner jüngeren Schwester erklärt, was ein „Boche“ (ein Begriff, der in Frankreich für den Deutschen verwendet wurde und „Schlächter“ bedeutet) ist.

„Willst du wissen, Kind, was dieses Ungeheuer ist, ein Boche?

Ein Boche, mein Liebling, ist das Wesen ohne Ehre

Er ist ein hinterhältiger, schwerfälliger, hasserfüllter und hässlicher Bandit

Er ist ein düsterer Mann, ein vergiftender Unhold

Er ist ein Teufel in Soldatengestalt, der die Dörfer niederbrennt

Erschießt Alte und Frauen, ohne Reue

Erschießt die Verwundeten, begeht alle Arten von Plünderungen

Beerdigt die Lebenden und beraubt die Toten

Er ist ein Feigling, der Kindern und Mädchen die Kehle durchschneidet

Er spießt Babys mit Bajonetten auf

Massakriert aus Lust, ohne Grund … ohne Heimat

Er ist der Mann, mein Kind, der deinen Vater töten will

Dein Vaterland zerstören und deine Mutter foltern

Er ist der vom ganzen Universum verfluchte Teutone.“

Diese Art von Propaganda entwickelte sich besonders nach den Verbrüderungen, die zur Weihnachtszeit 1914 an der Front zwischen deutschen, französischen und schottischen Einheiten stattgefunden hatten. Das Gedicht bringt es auf den Punkt: Man kann sich unter keinen Umständen mit „Ungeheuern“ verbrüdern.

In der Folgezeit diente die Anhäufung von Leichen auf beiden Seiten jedem kriegführenden Staat als Rechtfertigung für die Dämonisierung des Feindes. Auf beiden Seiten lobte man den Heldenmut und die Opferbereitschaft der eigenen Soldaten bei der „notwendigen“ Aufgabe, die „Verbrechen“ der Soldaten der anderen Seite zu verhindern. Das Töten von Menschen war kein Verbrechen mehr, wenn sie eine andere Uniform trugen, sondern im Gegenteil eine „heilige Pflicht zur Verteidigung der Menschlichkeit und der Moral“.

Diese Dämonisierung „feindlicher“ Völker zur Rechtfertigung kriegerischer Barbarei setzte sich im gesamten 20. und frühen 21. Jahrhundert fort, da der Krieg zu einem dauerhaften Bestandteil der kapitalistischen Dekadenz wurde. Der Zweite Weltkrieg liefert uns dafür ein ebenso eindrückliches wie grausames Beispiel. Für die heutige bürgerliche Propaganda gab es nur ein „Lager des BÖSEN“: Nazi-Deutschland und seine Verbündeten.

Das Naziregime war die Verkörperung der Konterrevolution, die über das Proletariat in Deutschland nach seinen revolutionären Versuchen von 1918-23 hereingebrochen war. Eine Konterrevolution, zu der die „Demokratien“ des „Lagers des GUTEN“ ihren ganzen Beitrag geleistet hatten und die durch den Nationalsozialismus vollendet wurde. Im Übrigen waren diese „Demokratien“ lange Zeit davon ausgegangen, dass sie sich mit dem Hitler-Regime arrangieren könnten, wie das Münchner Abkommen von 1938 belegt. Die Gräueltaten des Naziregimes dienten den Alliierten in ihrer Propaganda dazu, ihre eigenen Gräueltaten zu rechtfertigen. Insbesondere die Vernichtung der europäischen Juden durch dieses Regime – der konzentrierteste Ausdruck der Barbarei, in die die Dekadenz des kapitalistischen Systems die menschliche Gesellschaft gestürzt hatte – war ein massives und als „unwiderlegbar“ dargestelltes Argument dafür, dass die Alliierten Deutschland zerstören mussten, was vor allem durch die Ermordung Zehntausender Zivilisten durch die Bomben des „Lagers des GUTEN“ geschah. Nach dem Krieg, als die Bevölkerung der „Siegerländer“ von den Verbrechen ihrer Führer erfuhr, wurde ihnen erklärt, dass die entsetzlichen Massaker an der Zivilbevölkerung (insbesondere die Bombenangriffe auf Hamburg zwischen dem 25. Juli und dem 3. August 1943 und auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945, bei denen unter massivem Einsatz von Brandbomben vor allem Zivilisten getroffen wurden und insgesamt über 100.000 Menschen getötet wurden) durch die Barbarei des Naziregimes gerechtfertigt waren. Die gleichen Politiker organisierten eine massive Propaganda über die – tatsächlichen – Gräueltaten des Regimes, insbesondere die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung.[3] Die meisten Länder des Lagers des GUTEN verweigerten ihnen Einreisevisa und lehnten sogar die Angebote der Naziführer ab, ihnen Hunderttausende von Juden zu übergeben.

Die Entlarvung der Heuchelei der „Demokratien“ durch die Kommunistische Linke
Die Heuchelei der „demokratischen“ Bourgeoisie wird im Artikel Auschwitz oder das große Alibi, der 1960/61 in der Nr. 11 der Zeitschrift Programme Communiste (Organ der „bordigistischen“ Internationalen Kommunistischen Partei)[4] erschien, abgestützt auf belegbare historische Tatsachen, sehr gut bloßgestellt. Die Schlussfolgerung dieses Artikels, den wir voll und ganz unterstützen, lautet wie folgt:

„Wir haben gesehen, wie der Kapitalismus Millionen von Menschen zu Tode verurteilte, indem er sie aus dem Produktionsprozess ausstieß. Wir haben gesehen, wie er sie umgebracht und ihnen dabei allen nur möglichen Mehrwert abgepresst hat. Wir müssen jetzt noch sehen, wie er sie sogar nach ihrem Tode weiter ausnutzt, wie er sogar ihren Tod selbst ausnutzt. Zuerst haben die Imperialisten des alliierten Lagers sie benutzt, um ihren Krieg zu rechtfertigen und nach ihrem Sieg die gemeine Behandlung des Besiegten. Man hat sich auf die Lager und die Leichen gestürzt! Überall hat man die Gräuelbilder herumgezeigt und gerufen: „Seht ihr, was für Schufte die Nazis waren! Wie Recht wir hatten, sie zu bekämpfen! Und wie Recht haben wir jetzt, ihnen das Leben sauer zu machen!“ Man denke an die unzähligen Verbrechen des Imperialismus; man denke z. B. daran, dass gerade am 8. Mai 1945, als in Frankreich Thorez, der ehemalige KPF-Führer, den Sieg über den Faschismus auskrähte, 145.000 Algerier, die die Avantgarde der antikolonialen Bewegung gegen den Imperialismus darstellten, unter dem Vorwand, faschistische Provokateure zu sein, niedergemetzelt wurden[5]; man denke an die Verantwortung des Weltkapitalismus für alle diese Massaker – da packt einen der Ekel vor dem gemeinen Zynismus und der heuchlerischen Selbstzufriedenheit des siegreichen imperialistischen Blocks! Gleichzeitig haben sich alle braven antifaschistischen Demokraten auf die Leichen der Juden gestürzt. Und sie schwenken diese Bilder vor den Augen des Proletariats. Selbstverständlich tun sie es nicht, um die Abscheulichkeit des Kapitalismus zu zeigen! Im Gegenteil, sie versuchen zu zeigen, wie schön die wahre Demokratie und der wahre Fortschritt des anderen Lagers ist, wie wohl es sich lebt in der renovierten kapitalistischen Gesellschaft! Vor dem Gräuel des kapitalistischen Todes soll das Proletariat die Gräuel des kapitalistischen Lebens vergessen und dass beide unzertrennlich miteinander verbunden sind. Vor den Experimenten der SS-Ärzte soll vergessen werden, dass der Kapitalismus im großen Maßstab mit Alkohol, mit krebserregenden Produkten, mit den Strahlungen der „demokratischen“ Atombomben usw. experimentiert. Man zeigt die Lampenschirme aus Menschenhaut, damit vergessen wird, dass der Kapitalismus aus dem lebendigen Menschen, seiner Arbeitskraft, einen Lampenschirm macht. Vor den Bergen von Haaren, Goldzähnen, vor dem zur Ware gewordenen Körper des toten Menschen soll man vergessen, dass der Kapitalismus das Leben der Menschen selbst, die Arbeit, zur Ware gemacht hat. Hier ist die Quelle allen Unglücks. Dies hinter den Leichen der Opfer des Kapitals verstecken zu wollen, diese Leichen zum Schutz des Kapitals zu verwenden, das ist wirklich die abscheulichste Art, sie bis zu Ende auszunutzen.“

Dieser Artikel bringt auf den Punkt, was eine Grundposition der Kommunistischen Linken darstellt: die Denunziation der antifaschistischen Ideologie, deren Pfeiler die Erwähnung des Holocausts ist, als Mittel, um die Verteidigung der kapitalistischen „Demokratie“ zu rechtfertigen. So erschien bereits im Juni 1945 in der Nummer 6 von L’Étincelle, der Zeitung der Gauche Communiste de France, der politischen Vorläuferin der IKS, ein Artikel mit dem Titel Buchenwald, Maidaneck, makabre Demagogie[6], der das gleiche Thema entwickelte und den wir nachstehend wiedergeben:

„Die Rolle, die die SS, die Nazis und ihre Lager der Industrialisierung des Todes spielten, war die der allgemeinen Ausrottung all jener, die sich dem faschistischen Regime widersetzten, und vor allem der revolutionären Aktivisten, die immer an der Spitze des Kampfes gegen die kapitalistische Bourgeoisie standen, in welcher Form auch immer sie sich präsentierte: Autarkie, Monarchie oder „Demokratie“, unabhängig davon, wer ihr Führer war: Hitler, Mussolini, Stalin, Leopold III., Georg V., Viktor Emanuel, Churchill, Roosevelt, Daladier oder De Gaulle.

Die internationale Bourgeoisie, die beim Ausbruch der Oktoberrevolution 1917 nach jedem erdenklichen Mittel suchte, um sie niederzuschlagen, die die deutsche Revolution 1919 mit brutaler Repression zerschlug, die den proletarischen chinesischen Aufstand im Blut ertränkte; dieselbe Bourgeoisie, die in Italien die faschistische und in Deutschland die Hitler-Propaganda finanzierte; dieselbe Bourgeoisie brachte in Deutschland denjenigen an die Macht, den sie dazu bestimmt hatte, in ihrem Namen der Gendarm Europas zu sein; dieselbe Bourgeoisie gibt heute schließlich Millionen aus, um den Aufbau einer Ausstellung „SS-Verbrechen Hitlers“, die Aufnahmen und die öffentliche Vorführung von Filmen über „deutsche Gräueltaten“ zu finanzieren (während die Opfer dieser Gräueltaten weiterhin oft ohne Pflege sterben und die zurückkehrenden Überlebenden nicht die Mittel haben, um zu leben).

Die gleiche Bourgeoisie, die auf der einen Seite die Wiederbewaffnung Deutschlands bezahlt und auf der anderen Seite das Proletariat verhöhnt hat, indem sie es mit der antifaschistischen Ideologie in den Krieg hineingezogen hat, ist es, die auf diese Weise Hitlers Aufstieg an die Macht begünstigt und ihn bis zum Ende benutzt hat, um das deutsche Proletariat zu zerschlagen und es in den blutigsten aller Kriege, in das abscheulichste Gemetzel, das man sich vorstellen kann, hineinzuziehen.

Es ist immer dieselbe Bourgeoisie, die Vertreter mit Blumenkränzen schickt, um sich scheinheilig an den Gräbern der Toten zu verneigen, die sie selbst zu verantworten hat, weil sie unfähig ist, die Gesellschaft zu führen, und weil der Krieg ihre einzige Lebensform ist.

SIE IST ES, DIE WIR ANKLAGEN!

Denn die Millionen Toten, die sie in diesem Krieg verschuldet hat, sind nur ein Zusatz zu einer leider schon viel zu langen Liste von Märtyrern der „Zivilisation“, der zerfallenden kapitalistischen Gesellschaft.

Die Verantwortlichen für Hitlers Verbrechen sind nicht die Deutschen, die 1934 als erste mit 450.000 Menschenleben für Hitlers bürgerliche Unterdrückung bezahlten und die weiterhin unter dieser gnadenlosen Unterdrückung litten, als diese gleichzeitig ins Ausland getragen wurde. Ebenso wenig wie die Franzosen, Engländer, Amerikaner, Russen und Chinesen sind sie für die Schrecken des Krieges verantwortlich, den sie nicht gewollt haben, sondern den ihnen ihre herrschende Klasse aufgezwungen hat.

Die Millionen von Männern und Frauen, die in den Konzentrationslagern der Nazis langsam starben, die brutal gefoltert wurden und deren Körper irgendwo verrotten, die während dieses Krieges im Kampf geschlagen oder in einem „befreienden“ Bombardement überrascht wurden, die Millionen von verstümmelten, amputierten, zerfetzten, entstellten Leichen, die unter der Erde vergraben sind oder in der Sonne verrotten, die Millionen von Leichen, Soldaten, Frauen, Greise, Kinder.

Die Millionen Toten fordern Rache …
… und sie fordern Rache nicht an der deutschen Bevölkerung, die weiterhin zahlt, sondern an der skrupellosen herrschenden Klasse, die nicht gezahlt, sondern profitiert hat und die weiterhin hungernde Sklaven mit ihren Mastschweineminen verhöhnt.

Die einzige Position des Proletariats besteht nicht darin, demagogischen Aufrufen zu folgen, die darauf abzielen, den Chauvinismus durch antifaschistische Komitees fortzusetzen und zu verstärken, sondern im direkten Klassenkampf zur Verteidigung ihrer Interessen, ihres Rechts auf Leben, einem Kampf jeden Tag, jeden Augenblick, bis zur Zerstörung des monströsen Regimes des Kapitalismus.“[7]

Auch heute noch beruft sich der Staat Israel (und berufen sich diejenigen, die ihn unterstützen) auf die Erinnerung an die Shoah, um seine Verbrechen zu rechtfertigen. Die Gräueltaten, die die jüdische Bevölkerung in der Vergangenheit erlitten hat, sind ein Mittel, um den Eindruck zu erwecken, dass dieser Staat zum Lager des GUTEN gehört, selbst wenn er sich im Zweiten Weltkrieg die „Demokratien“ zum Vorbild nimmt, um die Zivilbevölkerung vorsätzlich mit Bomben zu massakrieren. Die von der Hamas am 7. Oktober begangenen Gräueltaten ermöglichten es ihm, diese Flamme auf spektakuläre Weise wieder zu entfachen, so dass in Israel selbst die Stimmen derjenigen, die zuvor die verbrecherische Politik dieses Staates angeprangert hatten, zum Schweigen gebracht wurden und sogar ins Lager der exzessiven Kriegsführung wechselten.

Gleichzeitig haben die Feinde Israels und ihre Unterstützer, die jahrzehntelang die Unterdrückung und Erniedrigung der palästinensischen Bevölkerung zu ihrem Geschäft gemacht haben, egal ob sie sich hinter islamistischen oder „anti-imperialistischen“ Fahnen verbergen, heute mit den Massakern, die der hebräische Staat in Gaza verübt, die Trumpf-Argumente, um ihre Unterstützung für einen palästinensischen Staat zu rechtfertigen, der wie alle Staaten das Instrument der Ausbeuterklasse zur Unterdrückung und Repression der Ausgebeuteten sein wird.

Um die kriegerische Barbarei zu rechtfertigen, hat die bürgerliche Propaganda insbesondere seit 1914 massiv von der Lüge Gebrauch gemacht, wie wir oben gesehen haben und immer noch sehen. Denken wir nur, neben vielen anderen Beispielen, an den Mythos der „Massenvernichtungswaffen“, den der amerikanische Staat 2003 in die Welt setzte, um die Invasion des Iraks zu rechtfertigen. Diese Propaganda ist jedoch noch viel wirksamer, wenn sie sich auf die tatsächlichen Gräueltaten stützen kann, die von denjenigen begangen werden, die als Feinde bezeichnet werden. Und diese Gräueltaten werden nicht verschwinden, ganz im Gegenteil. Je tiefer das kapitalistische System in seine Dekadenz und seinen Zerfall eindringt, desto häufiger und abscheulicher werden sie werden. Wie in der Vergangenheit werden sie von jedem Teil der Bourgeoisie benutzt werden, um ihre eigenen Gräueltaten und zukünftige Gräueltaten zu rechtfertigen.

Empörung und Wut über diese Gräueltaten sind legitim und normal bei jedem Menschen. Aber es ist wichtig, dass die Ausgebeuteten, die Proletarier, in der Lage sind, den Sirenen derer zu widerstehen, die sie dazu aufrufen, Proletarier in anderen Ländern zu bekämpfen und zu töten oder sich selbst in diesen Kämpfen töten zu lassen. Kein Krieg im Kapitalismus wird jemals der Krieg sein, der die Kriege beendet, die „Der des Ders“[8], wie es die Propaganda der Entente-Länder 1914 behauptete oder wie es Präsident Bush junior 2003 vorgab, als er nach der Beseitigung Saddam Husseins (in Wirklichkeit nach dem Massaker an Hunderttausenden Irakern) „eine Ära des Friedens und des Wohlstands“ vorhersagte. Die einzige Möglichkeit, Kriege und die damit verbundenen Gräueltaten zu beenden, besteht darin, das System zu beenden, das sie hervorbringt, den Kapitalismus. Jede andere Perspektive sichert nur das Überleben dieses barbarischen Systems.

Fabienne, 24.11.2023

[1] „Naissance de la démocratie totalitaire“ Revue Internationale Nr. 155

[2] „PROPAGANDA TECHNIQUE IN THE WORLD WAR“ (https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.39015000379902&view=1up&seq=23)

[3] Der Einsatz der Atombombe durch das amerikanische Lager des GUTEN, die die Städte Hiroshima (6. August 1945 – je nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 103.000 und 220.000 Tote) und Nagasaki (9. August – zwischen 90.000 und 140.000 Tote) dem Erdboden gleichmachte, konnte natürlich nicht mit der Ausrottung der Juden durch die japanischen Behörden gerechtfertigt werden, musste aber dennoch eine „humanitäre“ Bestimmung erhalten. Den US-Behörden zufolge rettete sie nämlich eine Million Menschenleben auf beiden Seiten, indem sie das Ende des Krieges beschleunigte. Dies ist eine der abscheulichsten Lügen über den Zweiten Weltkrieg. In Wirklichkeit war die japanische Regierung bereits vor diesen Bombenangriffen bereit, unter der Bedingung zu kapitulieren, dass Kaiser Hirohito seinen Thron behalten würde. Die US-amerikanischen Behörden lehnten diese Bedingung jedoch ab. Sie mussten unbedingt die Atombombe einsetzen können, um mehr über die „Effektivität“ dieser neuen Waffe zu erfahren und vor allem, um eine einschüchternde Botschaft an die Sowjetunion zu senden, von der die US-Regierung vorhersagte, dass sie der nächste Feind sein würde. Hirohito seinerseits blieb bis zu seinem Tod am 7. Januar 1989 auf seinem Thron, ohne jemals von den US-Behörden behelligt zu werden, obwohl seine persönliche Beteiligung an den Verbrechen der japanischen Armeen eindeutig nachgewiesen wurde. Ein letzter Hinweis: Japans Hauptstadt Tokio erhielt keine Atombombe, weil sie bereits durch zahlreiche „klassische“ Bombenangriffe (mit intensivem Einsatz von Brandbomben) praktisch dem Erdboden gleichgemacht worden war, insbesondere durch die Bombenangriffe vom März 1945, die ebenso viele Todesopfer forderten wie der Angriff auf Hiroshima.

[4] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bordiga/1961/xx/auschwitz.htm Dieser Artikel stützt sich insbesondere auf das Buch Die Geschichte von Joel Brand, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin, 1956), in dem die Erlebnisse dieses ungarischen Juden beschrieben werden, der die Flucht von Juden organisierte, die von den Nazis verfolgt wurden. Im Mai 1944 wurde Brand von Adolf Eichmann beauftragt, den Alliierten einen Vorschlag zur „Auslieferung“ von Hunderttausenden von Juden zu übermitteln, ein Vorschlag, der von den britischen Behörden abgelehnt wurde.

[5] Der Aufstand der Bevölkerung von Setif am 8. Mai 1945, am Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands, der von der französischen Regierung, an der die von Maurice Thorez geführte „Kommunistische“ Partei beteiligt war, mit äußerster Gewalt niedergeschlagen wurde.

[6] https://archivesautonomies.org/spip.php?article1521#

[7] Die Internationalist Communist Tendency ICT hat auf ihrer Website (https://www.leftcom.org/en) einen Artikel veröffentlicht, der sich mit denselben Fragen befasst, die in unserem vorliegenden Artikel angesprochen werden: Imperialist Hypocrisy in the East and West. Es handelt sich um einen ausgezeichneten Artikel, den wir begrüßen und unsere LeserInnen ermutigen zu lesen.

[8] „Der des Ders“ ist ein Ausdruck, der sich nach dem Ersten Weltkrieg geprägt hat und „der letzte der letzten (Kriege)“ bedeutet.