Offener Brief der Gruppe „Freiheit für neuen Sudan“

Hallo!
Im folgenden dokumentieren und unterstützen wir einen offenen Brief der
Gruppe „Freiheit für neuen Sudan“.

Der Brief geht unter anderem an:
die Bürger*innen der Stadt Göttingen und des Landkreises Göttingen,
das Verwaltungsgericht Göttingen,
die Ausländerbehörden der Stadt Göttingen und des Landkreises Göttingen,
den Rat der Stadt Göttingen und den Göttinger Kreistag,
das niedersächsische Innenministerium,
den niedersächsischen Landtag
und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Für Rückfragen bitte an folgende Adresse schreiben:
sudanfriedens@gmail.com

Beste Grüße, akasyl


Göttingen, 30. Oktober 2020
Liebe Bürger*innen! Sehr geehrte Damen und Herren und *!

Wir sind Flüchtlinge aus Sudan, die zwischen 4 und 6 Jahren hier in
Göttingen und Umgebung leben. Es ist uns gelungen, dem diktatorischen
Regime in Sudan zu entkommen. Wir haben dann die militarisierten Grenzen
des zunehmend abgeschotteten Europa überwunden, um hier ein Leben in
Würde führen zu können.Wir danken den Bürger*innen hierzulande herzlich,
die immer noch das Asylrecht als universelles Menschenrecht schützen und
versuchen, es zu verteidigen!
Wir wenden uns an Sie mit dringenden Bitten. Diese beziehen sich auf
schwerwiegende Probleme, welche die Qualität unseres Lebens hier massiv
beeinträchtigen. Es geht um auf uns ununterbrochen ausgeübten Druck, der
uns das Leben schwer macht, uns an der Zukunft zweifeln lässt.

  1. Viele von uns haben seit Jahren in unterschiedlichen
    Flüchtlingsunterkünften gelebt. Dabei mussten wir manchmal lange Zeit
    ein Zimmer mit drei bis sechs Personen teilen und müssen dies teilweise
    noch immer. Für uns waren/sind fast alle diese Unterkünfte Orte von
    Entmündigung und Fremdbestimmung – egal mit welch schönen Worten die
    zuständigen Behörden und Unterkunftsbetreiber diese als „gutes und
    angemessenes Wohnen“ darzustellen versuchen.
    Das Leben in diesen Unterkünften führt zwangsläufig zu Konflikten
    untereinander durch die beengten Räumlichkeiten und die fehlende
    Privatsphäre. Die ständige Kontrolle durch Sicherheitspersonal und die
    Verwaltung lässt uns keine Möglichkeit, frei zu entscheiden wie wir
    unser Leben führen. Aber auch wenn wir dann mit Genehmigung der
    Sozialbehörden eine private Wohnung mieten dürften, ist die
    Wohnungssuche mit Duldungsstatus extrem schwierig. Die meisten
    Vermieter*innen lehnen uns ab.
  2. Viele von uns arbeiten nach Ablehnung der Asylverfahren unter
    prekärsten Bedingungen, haben dabei kaum Rechte und Möglichkeiten zur
    Beschwerde am Arbeitsplatz. Krank werden dürfen wir nicht, denn sonst
    werden wir von unseren Arbeitgeberinnen sofort entlassen. Wir halten das alles stillschweigend durch, um immer wieder bei den Ausländerbehörden unsere Duldung verlängern zu können. Das heißt, wir verzichten auf unsere Rechte als Arbeiterinnen, auf Beschwerden bei der
    Arbeit und darauf, zur Ärztin zu gehen, weil wir permanent Angst haben, dass die Ausländerbehörde beim nächsten Mal die Duldung nicht verlängert. Viele Arbeitgeberinnen stellen uns nicht ein, weil wir
    keinen dauerhaften Aufenthaltstitel besitzen. Fallbeispiel: Eine Firma
    will Herrn O. endlich nach langer Zeit, die er bereits dort tätig ist,
    fest einstellen, aber dafür braucht er einen gültigen Aufenthaltstitel.
    Die Handlungsmöglichkeit liegt hier bei den Sozialbehörden und dem BAMF.
    Auch haben wir aufgrund unseren Duldungsstatus keinen Zugang zu Deutsch-
    und Integrationskursen. Hier fällt uns eine scheinbare Bevorzugung
    anderer Nationalitäten auf. Dies verursacht Leid, Neid und Spaltung.
  3. Die meisten von uns sudanesischen Flüchtlingen haben negative
    Asylentscheidungen bekommen und verfügen nur über eine Duldung. Das
    lange Warten auf die Rückmeldung vom BAMF bezüglich der Entscheidung
    über Asyl verursacht großen psychischen Druck, und es kann manchmal
    mehrere Jahren dauern. Diese Zeit wird von uns als eine dunkle Zeit
    empfunden, weil man während dieser Zeit keine Ausbildung anfangen oder
    richtig arbeiten kann. Die Folge solcher Behördenentscheidungen ist für
    uns seelischer Schaden. Wir leben in ständiger Furcht, von der Polizei
    abgeholt und abgeschoben werden. Wir leiden an schrecklichen
    Erinnerungen an Abschiebungen anderer, die wir mit erleben mussten. Z.B.
    Um 2 Uhr nachts mit brutaler Gewalt durchgeführte Abschiebungen von
    anderen Geflüchteten aus „unseren“ Unterkünften.
    Dies führt bei uns zu sehr hohem seelischem Druck, der in den meisten
    Fällen in andauernder psychischer Unruhe und Depression mündet. Dadurch
    sind einige von uns sehr krank geworden. Als einziger Ausweg aus dieser
    Situation erscheint manchen die Betäubung mit Alkohol, die zur Sucht
    führen kann.
  4. Unsere Ängste haben sich praktisch vervielfacht, nachdem das
    Bundes-Innenministerium Anfang dieses Jahres kurz nach der Bildung einer
    neuen Übergangsregierung in Sudan diesen als sicheres Herkunftsland
    erklärt hat, um Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Wir sind immer noch
    fassungslos über diese Abschiebeentscheidung. Für uns als sudanesische
    Flüchtlinge, die Tag für Tag die Ereignisse in Sudan verfolgen, wirkt
    diese Entscheidung wie pure Heuchelei. Denn die neue Übergangsregierung
    wird zu 80% bestimmt von islamistischen Milizen
    (Dschandschawid/Janjaweed), den Geheimdiensten des alte Regime und den
    Militärkräften. Kurz: all die Mächte, vor denen wir fliehen mussten,
    haben auch jetzt das Sagen in Sudan.
    Es sei nach Ansicht der deutschen Behörden zumutbar, dass Geflüchtete,
    die vor dem diktatorischen Regime in Sudan geflohen sind, zur
    Passbeschaffung zu sudanesischen Auslandsvertretungen geschickt werden.
    Viele von uns Geflüchteten haben jahrelang Verletzungen und
    Traumatisierungen durch Repression, Folter und Vergewaltigung in Sudan
    erlebt. Zwischen der alten und neuen Regierung änderte sich nichts
    Grundlegendes. Dass wir als Geflüchtete uns dem sudanesischen Regime
    unterstellen müssen, das für eben diese Verbrechen zum Teil direkt
    verantwortlich ist, empfinden wir als Verstoß gegen unsere
    Menschenwürde. Wir vertrauen der neuen sudanesischen Regierung kein
    Stück. Bei jedem Besuch bei der Botschaft werden unseren Namen durch den
    sudanesischen Sicherheitsapparat überprüft. Alle unsere persönlichen
    Angaben werden in Datenbanken über Oppositionelle, ihre Angehörigen und
    ihr Eigentum in Sudan gespeichert. Viele von uns haben gute Gründe, dem
    neuen sudanesischen Regime nicht mitzuteilen, wo wir uns aufhalten –
    auch aus Sorge um in Sudan verbliebene Familienangehörige. Diesen Zwang
    zur Passbeschaffung finden wir politisch falsch und moralisch
    verwerflich. Denn er hilft auch ein Unrechtsregime zu legitimieren und
    verletzt unsere Würde.

Wir möchten, dass Sie unsere Anliegen wie wir sie oben geschildert
haben, bitte ernst nehmen! Wir wollen nicht mehr am den Rand der
Gesellschaft gedrängt werden. Diese systematische Ausgrenzung missachtet
das grundlegende Recht auf menschenwürdiges Leben.
Behandeln Sie alle Geflüchteten mit Chancengleichheit,
Gleichberechtigung unabhängig von ihrer Nationalität! Wir fordern eine
sofortigen Stopp aller Abschiebungen in den Sudan und die Rücknahme der
Einstufung des Sudan als angeblich „sicheres Herkunftsland“!

Mit freundlichen Grüßen
Gruppe „Freiheit für neuen Sudan“

Kontakt Email: sudanfriedens@gmail.com

Info

Kontinuitäten zwischen alter und neuer Regierung in Sudan:

https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/sudan-sudan-2019

(Stand Anfang 2020)

https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/sudan/dok/2020/sicherheitskraefte-fuer-tod-von-protestierenden-zur-verantwortung-ziehen
(09.03.2020)

https://medium.com/@sudanuprising/stellungnahme-bez%C3%BCglich-wiederaufnahme-der-bilateralen-zusammenarbeit-mit-dem-sudan-590cac9224bc

(25.04.2020)
https://taz.de/Sudankonferenz-in-Berlin/!5691184/
(25.07.2020)

http://www.sudanuprising.com/endjanjaweed.html

Weiterbestehende Fragilität der Vereinbarungen (beispielhaft):
https://www.dw.com/de/sudan-entsendet-truppen-nach-darfur/a-54339476
(27.07.2020)
https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/sudan-keshas-erbe
(04.09.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/eight-people-killed-in-demonstrations-in-eastern-sudan
(16.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/civil-society-orgs-warn-sudan-govt-against-implementing-peace-agreement
(17.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/four-killed-in-port-sudan
(19.10.2020)
https://theconversation.com/peace-in-sudan-patience-is-required-for-the-long-road-ahead-148196
(22.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/attack-on-south-darfur-village-leaves-12-dead
(23.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/protests-against-sudanese-security-forces-brutality
(23.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-journalist-abducted-and-mistreated
(26.10.2020)
https://www.dabangasudan.org/enall-news/article/protestor-shot-at-demo-dies-in-hospital
(26.10.2020)

Problematik der EU-Kooperation mit afrikanischen Staaten zur
Migrationsbekämpfung:
https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-09/Positionspapier-Migrationskooperationen-EU-AFRIKA-2019.pdf
(September 2019)
https://www.cmi.no/publications/file/7174-irregular-migration-or-human-trafficking.pdf
(März 2020) (spezifisch auf Sudan bezogen; Förderung der mörderischen
RSF als Grenzschützer durch EU/Deutschland)

Rahmenbedingungen im Sudan:
https://reports.unocha.org/en/country/sudan/ (fortlaufend
aktualisiert)