Fällt der Hijab-Zwang, stürzt das Regime
Iran erlebt eine Revolution, die das Fundament der religiösen Diktatur angreift: sexuelle Unterdrückung und Geschlechterungleichheit
Von Mina Khani
Artikel von linke Zeitschrift: Analyse &kritik
Es begann mit dem staatlichen Femizid an einer kurdischen Frau, deren Name jetzt die ganze Welt kennt: Jîna Mahsa Amini. Vier Wochen später sind die Menschen in Iran immer noch auf der Straße – sie verlangen das Ende des Regimes. Die Proteste begannen vor dem Kasra Krankenhaus in Teheran, in dem Amini verstarb, dort wurden sie von der Polizei aufgelöst. Der Staat mag da noch geglaubt haben, dass er alles unter Kontrolle hat. Die Familie von Jîna Amini hat es nicht zugelassen.
Sie hat demonstriert, indem sie der Version des Staates, wie es zu diesem Tod gekommen ist, widersprach. Dann hat sich die kurdische Zivilgesellschaft zu Wort gemeldet und Proteste und Streiks in Kurdistan organisiert – mit dem Aufruf an die ganze iranische Gesellschaft: »Wehrt euch.« Sehr rasch haben sich die Proteste landesweit ausgebreitet und eine revolutionäre Phase in Iran eingeläutet.
Seit Wochen füllen sich die Straßen nun mit Frauen und jungen Menschen, die keine Angst zeigen. Schon Ende September schränkte der Staat das Internet massiv ein in der Hoffnung, die Bewegung so in den Griff zu bekommen – ohne Erfolg. Als die Proteste auf der Straße schwächer zu werden drohten, schalteten sich die Student*innen ein. Die Sharif Universität in Teheran, die bekannteste Universität des Landes, wurde infolge der Proteste auf dem Campus massiv von Einheiten des Staates angegriffen. Menschen wurden verletzt und verhaftet, einigen sogar ins Auge geschossen.
Doch auch das hat die Bewegung nicht gestoppt, im Gegenteil: Studierende an weiteren Universitäten schlossen sich an, Schüler*innen haben ebenfalls zu Streiks aufgerufen. Die Parolen an den Universitäten und auf der Straße wurden immer lauter. Die Namen der ermordeten jungen Frauen wurden genannt, der Staat hart angegriffen. »Das ist kein Protest, das ist der Beginn einer Revolution.« Schüler*innen haben ihre Kopftücher abgelegt. Sie haben Direktoren aus den Schulen geworfen.
Student*innen haben den Mut der Schüler*innen mit weiteren Protesten beantwortet. Dann meldeten sich auch die Arbeiter*innen zu Wort. Erst waren es die Lehrer*innen, die zum landesweiten Streik aufriefen. Bei den Schüler*innen bedankten sie sich für ihre mutigen Aktionen. Ihre Proteste seien eine Lehre über »Mut, Leben, Emanzipation«, so der Slogan des Lehrer*innenverbandes.
Danach ist das passiert, worauf wir seit Jahren gewartet haben: Die Arbeiter*innenschaft der Petrochemie hat sich gemeldet, seit dem 10. Oktober ist auch sie im Streik. Ihre Aufrufe nehmen direkt Bezug auf die Straßenproteste. Im Statement der Arbeiter*innen in der petrochemischen Industrie ist keine Zurückhaltung zu erkennen: »Wir haben gesagt, dass wir nicht schweigen werden, wenn Menschen ermordet werden. Hiermit rufen wir alle Arbeitenden der Petrochemie, sowohl die Festangestellten als auch die Projektarbeiter*innen, auf: Schließt euch an.«
Die Strategie der Spaltung scheitert bisher
Der iranische Staat hat unterschiedliche Strategien probiert, um die Proteste aufzulösen. Er hat junge Menschen brutal auf der Straße ermordet. Die Zentrale der kurdischen Parteien in Erbil (Kurdistan/Irak) wurde angegriffen. Es gab ein Massaker in Zahedan, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan ganz im Osten Irans, wo Belutschis massenhaft ermordet wurden. Dann wurde die Sharif Universität angegriffen, nun sind wieder kurdische Städte dran. In Sanandaj leistet die Bevölkerung (Stand: 13. Oktober) seit Tagen Widerstand gegen massive Angriffe des Militärs.