Aufruf zum Handeln gegen die Entrechtung Geflüchteter

Redebeitrag vom Bündnis für offene Grenzen, Göttingen, bei der
Kundgebung der RefugeeLawClinic Göttingen gegen die Abschottung der EU
gegen Geflüchtete am 06.05.2023

https://de.indymedia.org/node/280218

Vorbemerkung zur Veröffentlichung des Redebeitrags

Die aktuellen Vorhaben der Ampelkoalition zum Flüchtlingsrecht stellen den schwersten Angriff auf das Menschenrecht auf Flucht und Asyl seit der Grundgesetzesänderung 1993 dar. Was daraus für Hunderttausende jetzt und und Millionen künftig Flüchtende erwachsen wird, wird die Schrecken des Lagers von Moria in den Schatten stellen. Das geringe Ausmaß an öffentlicher bekannt werdender Empörung und das praktische Nicht-Verhalten großer Teile dazu von linksliberalen, linken und sich linksradikal verstehenden Öffentlichkeiten stellt in unseren Augen eine weitgehende De-Solidarisierung mit Flüchtenden weltweit dar.

Das liegt leider nur zum Teil daran, dass es sich bei diesem Angriff auf die Menschenrechte um gesetzgeberische und Verwaltungsverfahren handelt, die in abstrakt wirkenden Vertragstexten verankert werden. Das aktuelle Schweigen liegt auch daran, dass sich allzuviele Menschen das Wegschauen von den Todeszonen an den Rändern Europas angewöhnt haben, als handele es sich dabei um unabänderliches Sterben – und nicht um ein von deutscher und europäischer Politik produziertes.
Und es liegt auch daran, dass die Konstrukteur*innen der Abschottung mit ihrer Strategie der Unsichtbarmachung der Flüchtlingselends erfolgreich sind.

Die von der Ampelkoalition angestrebten Veränderungen (1 – alle Anmerkungen am Textende), die beim EU-Minister*innenrat am 08./09. Juni 23 verabredet werden sollen, sollen über die kommenden Jahrzehnte die meisten fliehenden Menschen von Schutz und Asyl in Europa ausschließen. Die nochmals zugespitzte Entrechtung von Geflüchteten wird ein hierzulande kaum vorstellbares Elend und noch mehr Traumatisierungen und Tode von Geflüchteten bewirken – nur dass das dann noch weniger öffentlich geschieht, als bereits jetzt (2).

Inzwischen hat sich ein breites Bündnis aus 53 zivilgesellschaftlichen Organisationen gegen die Pläne der Ampelregierung ausgesprochen: Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes!

https://www.proasyl.de/pressemitteilung/appel-von-ueber-50-organisationen-an-die-bundesregierung-keine-kompromisse-auf-kosten-des-fluechtlingsschutzes-bei-der-europaeischen-asylrechtsreform/
Es ist dringend nötig, dass die rassistischen Pläne der SPD-Grüne-FDP-Regierung auch von basislinken Bewegungen skandalisiert und angegangen werden.

Überarbeiteter Text der Rede des Bündnisses für offene Grenzen, Göttingen, vom 06. Mai 23

Wer eine Flucht nach Europa überlebt, hat bei der Flucht aufgrund der Abschottungspolitik oft derart Grausames erlebt, dass die überlebende Person davon traumatisiert ist und daher in der Öffentlichkeit davon praktisch kein Zeugnis ablegen kann. Diejenigen Flucht-Überlebenden, die sich zu den Bedingungen ihrer Flucht äußern können, finden in einer breiteren Öffentlichkeit kein Gehör.

Wer sich als nicht selbst geflüchtete Person näher mit der Festung Europa beschäftigt, blickt in einen nicht enden wollenden Abgrund der Unmenschlichkeit. Diese müssen Geflüchtete am eigenen Leib erfahren und allzu oft mit dem Leben bezahlen. Im folgenden soll ein kleiner Teil dieses Eisberges an verweigerter Menschlichkeit dargestellt werden (3). Und deshalb an dieser Stelle eine Triggerwarnung: in einigen Minuten werden im Beitrag detaillierter Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten beschrieben.

Eines der Rätsel der tödlichen Abschottungspolitik ist, wie diejenigen, die dafür mittelbar und unmittelbar verantwortlich sind, es schaffen, ungestraft davonzukommen (4). Meist werden sie nicht einmal als Verantwortliche benannt. Ursula von der Leyens EU-Kommission missachtet immer wieder das Völkerrecht: ob 2020 beim Jubel für griechische Grenzschützer*innen, die Flüchtlinge zurück schlugen und mindestens 2 Geflüchtete töteten (5). Oder mit den Ausnahmegenehmigungen für Polen, Lettland und Litauen, als die Genfer Konvention für nicht-ukrainische Geflüchtete mal eben außer Kraft gesetzt wurde (6). Oder mit der ständig ausgebauten EU-Unterstützung der libyschen Küstenwache, die in den letzten sechs Jahren mehr als 185.000 Geflüchtete (7) in Folterlager und den Tod verbrachte. Doch die EU rüstet die Milizionäre weiter aus und fördert die Pullbacks nach Libyen auch mit Unterstützung von FRONTEX, der sogenannten EU-Grenzschutzagentur. Zuletzt im März 2023 benannte die „unabhängige Mission der Vereinten Nationen zur Tatsachenermittlung in Libyen“ den EU-Beitrag als Unterstützung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit (8).

Wieso hat es keine Journalistin bisher geschafft, mal die persönliche Verantwortung etwa von Angela Merkel und ihrem damaligen Stellvertreter Olaf Scholz ab 2016 zu recherchieren: wie Merkel ihr Versprechen, dass sie nach dem Sommer der Migration 2015 gegeben hatte, dass sich derartiges nie wiederholen würde, praktisch in die Tat umsetzen ließ? Welche Rolle ihre bis dahin nie gesehenen Reiseaktivitäten in zahlreiche afrikanische Länder und die daraus resultierenden Abkommen spielten? Einige Fragmente davon sind nachzulesen auf der Seite migration-control.info, doch die politischen Verantwortlichkeiten bleiben oft unbestimmt. Stattdessen hat die rassistische Sarrazin-, AfD- und Seehofer-Rhetorik immer wieder so viel Raum in den Medien und dem gesellschaftliche Diskurs erhalten, dass dieser Rassismus jetzt nicht nur salonfähig sondern politikbestimmend geworden ist.

Aktuell erleben wir eine weitgehend unbegriffene Inszenierung gegen Geflüchtete, die der von 1992/93 ähnelt und die damals mit der Änderung des Grundgesetzes zur weitgehenden Abschaffung des Asyls in Deutschland führte. Seither erhält nur noch ein Bruchteil der Geflüchteten in Deutschland Asyl. Wenn ein Schutzstatus zuerkannt wird, ist dies meist die Rechtsstellung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder der sogenannte subsidiäre Schutz, aber eben kaum noch politisches Asyl im engeren Sinn (9). Denn damals führte die Parlamentsmehrheit gegen die Proteste von 10.000 Menschen in Bonn (10) auf der Straße und gegen 100.000 gesammelte Unterschriften das Konzept der (angeblich) sicheren Drittstaaten ein: wer von dort einreist, kann in Deutschland kein Asyl erhalten.

Zuvor wurden damals bundesweit durchgeführte Pogrome gegen Flüchtlings-Unterkünfte von den politisch Herrschenden zugelassen und instrumentalisiert, um eine Anti-Asyl-Stimmung in der Bevölkerung herbeizuführen, und die erwünschte Legitimierung für die Grundgesetzänderung zu erlangen. Einer der traurigen Tiefpunkte dieser Inszenierung war das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, bei dem Nazis gemeinsam mit rassistisch aufgehetzten Anwohnerinnen das Vertragsarbeiterinnenwohnheim im Sonnenblumenhaus belagerten und schließlich in Brand setzten, während die Polizei tatenlos blieb. Dieses Ereignis kam nicht aus dem Nichts sondern der Boden dafür wurde durch über Wochen hinweg von einer Reihe regionaler und lokaler Politiker*innen und Beamter vorbereitet, die die Aufnahmestelle mit Geflüchteten über lange Zeiträume regelrecht überlaufen ließen. Diese Vorgänge wurden bereits 1993 in der Dokumentation „The truth lies in Rostock“ und auch in einer TV-Doku des NDR aufbereitet, blieben aber für die Verantwortlichen folgenlos (11).

Aktuell wird seit Monaten aus vielen Kommunen immer wieder berichtet, dass die Kapazitäten für die Aufnahme von Geflüchteten erschöpft seien. Das ist einerseits erklärlich, weil mehr als einer Million geflüchteter Ukrainer*innen endlich einmal unbürokratisch in Deutschland Aufnahme gefunden haben, und andererseits, weil die Länder und vor allem der Bund für nicht-ukrainische Geflüchtete einfach viel zu geringe Finanzmittel zur Verfügung stellen. 100 Milliarden Euro für ein Rüstungspaket sind in Deutschland kein Problem, wie auch nicht zig Milliarden etwa für den Autobahnausbau. Aber statt Gelder für Menschenrechtsschutz auszugeben wird in allererster Linie in die Abwehr von Geflüchteten vor den Toren Europas investiert (12).

Migrationsfeindliche Lokalpolitiker_innen tragen gegenwärtig das ihre zur Inszenierung des Notstands bei: Sie lassen auf dem flachen Land, wo Geflüchtete eh kaum Lebensperspektiven finden können, Massenunterkünfte für sie anlegen, die dann zu Abwehrreaktionen einer sich teilweise überfordert fühlenden Lokalbevölkerung führen. Dabei nutzen Nationalist_innen vorhandene rassistische Ressentiments in Teilen der Bevölkerung aus, um dann die skandalträchtigen Bilder von Protesten aufgebrachter Bürger*innen zu erhalten.

Und genau in dieser Logik eines inszenierten „Flüchtlingsnotstandes“ wird am 10. Mai ein Bund-Länder-Gipfel stattfinden. Eine Reihe von Landespolitiker*innen hat sich bereits medienwirksam mit gegen Geflüchtete gerichteten Forderungen in Szene gesetzt: So soll die Liste der angeblichen sicheren Herkunftsstaaten erweitert werden, in die Geflüchtete dann relativ problemlos abgeschoben werden können – problemlos für die Behörden, nicht für die Geflüchteten. Zu angeblich sicheren Herkunftsstaaten sollen nun auch erklärt werden: Marokko, Tunesien, Algerien, Georgien, Moldawien und Indien. Wer darüber informiert ist, wie es um die Wahrung der Menschenrechte in diesen Staaten bestellt ist, kann darüber nur entsetzt sein.

Beispiel: Tunesien (13). Vor zwei Jahren entmachtete der gewählte Präsident Kais Saied das Parlament. Alle oppositionellen Kräfte und demokratische Initiativen sind seither vermehrten Repressionen und willkürlichen Inhaftierungen ausgesetzt. Am 21. Februar diesen Jahres hielt Präsident Saied dann eine Rede, in der er die tunesische Bevölkerung gegen schwarze Menschen aufzuhetzen versuchte. Dabei konnte er an lange bestehende rassistische Ressentiments bei Teilen der überwiegend hellhäutigeren arabischen Bevölkerung anknüpfen. Wie die Nazis hierzulande und in anderen europäischen Ländern faselte er vom angeblich geplanten „großen Bevölkerungsaustausch“ durch Migrant*innen. Es kam darauf hin in vielen Orten Tunesiens zu Verfolgungsjagden durch Repressionsorgane auf schwarze Menschen, die willkürlich geprügelt, aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, ihre Arbeitsplätze verloren, ihres Besitzes beraubt und auch inhaftiert wurden. Eine Woche später gab es solidarische Massendemonstrationen von Teilen der tunesischen Zivilgesellschaft gegen die rassistische Hetze. Einige der unmittelbar betroffenen Schwarzen Personen, die ihre Unterkunft verloren hatten, sammelten sich in einem Protestcamp vor dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Dieses wurde mit erneuter massiver Gewaltanwendung durch die sogenannten Sicherheitskräfte geräumt, wobei auch die UN-Behörde den Geflüchteten den nötigen Schutz vorenthielt (14).

Seither ist die Zahl von Bootsflüchtlingen, die versuchen, den Zuständen in Tunesien zu entkommen, drastisch angestiegen. Und aufgrund der von Europa behinderten Seenotrettung haben auch die Todesfälle durch ertrinken-lassen auf dem Weg nach Italien stark zugenommen. Allein in den letzten zehn April-Tagen wurden mehr als 220 Leichname von Geflüchteten an tunesischen Küsten angespült. Die tatsächliche Anzahl der derart zu Tode gebrachten Menschen wird erfahrungsgemäß deutlich höher sein und niemals bekannt werden. Bei diesen Todesfällen spielt auch die tunesische Küstenwache, die mit EU-Mitteln ausgebaut wurde, nach Augenzeugenberichten von Überlebenden eine Täter*innenrolle: Einige der bereits auf See befindlichen Flüchtlingsboote wurden von der tunesischen Küstenwache ihrer Motoren beraubt und dann wurden Wellen erzeugt, die die mit Menschen überladenen Flüchtlingsboote manchmal zum Kentern brachten. Danach wurde nur ein Teil der ums Überleben kämpfenden Menschen aus dem Wasser gezogen (15).

Das alles geschieht mit stillschweigender Duldung des „Europas der Werte“. Und wie gesagt: seit Jahrzehnten flossen und fließen Millionen von Euros aus der EU nach Tunesien, um die Flucht_migration von dort zu erschweren (16).

Aus allen Staaten, die als angeblich sichere Herkunftsländer gelten bzw. gelten sollen, werden systematische Menschenrechtsverletzungen berichtet, so dass die Rede von Sicherheit einer Verhöhnung der Rechte der Betroffenen gleichkommt.

Menschenverachtende Praktiken bei der Bekämpfung von Geflüchteten sind ein mittlerweile charakteristisches Merkmal vieler Grenzschützer_innen auch auf europäischem Boden: mehr als 49.000 gepushbackte Menschen – pushback = völkerrechtsrechtswidrige Zurückweisung von Flüchtenden – sollen den griechischen Grenzschutzleuten allein im ägäischen Meer zuzuschreiben sein (17). Dabei bedienen sie sich manchmal ähnlicher Methoden wie die tunesischen Grenzschützer. Die menschenrechtswidrigen Praktiken finden teilweise unter direkter Beobachtung der EU-Grenzschutzagentur Frontex statt. Hier sind auch deutsche Beamt_innen beteiligt gewesen (18).
Zur Rechenschaft gezogen werden juristisch aber fast nie die Täter_innen sondern erschreckend oft die Opfer oder Flüchtlingshelfer_innen. Als Verfolgungsgrund wird dabei praktisch immer angeblicher Menschenschmuggel angegeben. Es wurden insbesondere von griechischen Gerichten schon Freiheitsstrafen von Jahrzehnten verhängt, nur weil Menschen sich und ihre Angehörigen nach Griechenland geflüchtet hatten und eine Person das Boot steuern musste, weil die schleusende Person gar nicht mit an Bord war (19).

Vor wenigen Tagen erst hat die Berliner Menschenrechtsorganisation „mare liberum“, die Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten dokumentierte, ihre Arbeit endgültig eingestellt, weil der Repressionsdruck ihnen gegenüber durch die griechischen Behörden zu groß wurde (20).

In Deutschland ist neben der geforderten Erweiterung der Liste (angeblich) sicherer Herkunftsstaaten eine weitere Maßnahme gegen Geflüchtete von der Bundesregierung aktuell geplant. Innenministerin Nancy Faeser hat vor wenigen Tagen die Zustimmung der Ampelkoalition zu Kernbestandteilen des „neuen Paktes für Migration und Asyl“ verkündet. Hierbei handelt es sich um ein umfangreiches und komplexes Paket von Gesetzen, die 2020 von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vorgestellt und seither in allen EU-Staaten beraten wurden. Dieses Gesetzespaket läuft auf eine drastisch verschärfte Entrechtung von Geflüchteten hinaus, die versuchen, in Europa Schutz zu erlangen. Das ist nun kein Wunder, da der Ursprungsentwurf vom Seehoferschen Innenministerium geprägt wurde.
Die Ampelkoalition hatte sich seit ihrem Start schon mit diversen Maßnahmen vom Flüchtlingsschutz verabschiedet, z.B. als Faeser vor wenigen Monaten ankündigte, Geflüchtete effektiver als Seehofer abschieben zu wollen. Oder als sie – von der Öffentlichkeit fast vollständig ignoriert – letztes Jahr der sogenannten Screening-Verordnung der EU-Kommission zustimmte. Nach dieser sollen Geflüchtete an den Außengrenzen bereits „eingestuft“ werden hinsichtlich ihrer sogenannten Bleibeperspektive. Dieses Konzept ist eine deutsche Anti-Flüchtlings-Erfindung, die nun auf EU-Ebene gebracht wurde (21). Oder als Faeser im Februar den FDP-Politiker Joachim Stamp als Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung beauftragte, der „dreckige Deals“ mit Drittstaaten zur erleichterten Abschiebung von Geflüchteten aushandeln soll. Doch nun kicken SPD, Grüne und FDP ihren eigenen Koalitionsvertrag offensichtlich über Bord, in dem sie noch behauptet hatten, die Rechte Geflüchteter vermehrt schützen zu wollen.

Beim nächsten EU-Minister_innenrat am 08. Juni will die Bundesregierung ihr OK verkünden, dass künftig sogenannte Grenzverfahren für Geflüchtete an den Außengrenzen der neue Standard werden sollen. Nur die wenigen Geflüchteten, denen EU-Bürokrat_innen anhand extrem fragwürdiger Kriterien eine hohe Chance auf Gewährung von Asyl einräumen, erhalten überhaupt Zugang zum einem regulären Asylverfahren. Die meisten Geflüchteten werden vermutlich dann aber in Schnellverfahren vom Asyl ausgeschlossen werden. Diese Verfahren werden weitgehend in geschlossenen Lagern an den Außengrenzen ablaufen, von wo aus FRONTEX (22) dann direkt die Abschiebungen in die Herkunftsländer oder in angeblich sichere Drittstaaten vornehmen wird. Dabei soll die Regel gelten, dass wer einen dieser angeblich sicheren Drittstaaten auf der Flucht durchquert hat, automatisch kein Asyl in einem EU-Staat mehr erhalten wird, unabhängig davon, was in diesem für sicher erklärten Drittstaat für eine wirtschaftliche oder menschenrechtliche Lage wirklich herrscht. Damit trägt auch die aktuelle Bundesregierung massiv dazu bei, die 1993 für Deutschland vereinbarten Ausschlüsse von geflüchteten Menschen aus den Asylverfahren nun auf europäischer Ebene dauerhaft zu verankern.

Wir gehen davon aus, dass diese Beschlüsse, wenn das ganze Paket 2024 von der EU verabschiedet sein wird, über Jahrzehnte hinaus wirksam sein könnten, und für millionenfaches Flüchtlingselend und noch mehr Tode verantwortlich sein werden.
Da eine Abstimmung dazu bereits am 08./09. Juni im Minister_innenrat vorgesehen ist, möchten wir euch aufrufen, JETZT auf die Parteien und Entscheidungsträger_innen einzuwirken.

Wir haben dazu bereits im vergangenen Jahr eine Postkartenkampagne an den Start gebracht, um in einer breiteren Öffentlichkeit für die drohende Aussetzung von Menschenrechten zu sensibilisieren. Wir sind damit gescheitert. Die Forderungen auf der Karte an Innenministerin Faeser sind immer noch aktuell. Der darin verlinkte Text ist es leider nicht, auch wenn er ergänzende Infos zum Verständnis liefert und das Prinzip der Unsichtbarmachung erläutert.
siehe:

ProAsyl hat auf

https://aktion.proasyl.de/menschenrechte-verschwinden/

nun eine neue email-Kampagne gestartet mit Forderungen zur Freizügigkeit. Die mails werden an die Parteivorsitzenden geschickt, wenn ihr euch dort eintragt.

Wir schätzen es so ein, dass Unterschriften allein den rassistischen Abschottungskonsens nicht durchbrechen werden. Überlegt euch bitte selbst, wie ihr auf die Parteien, Entscheider*innen und die Öffentlichkeit Einfluss nehmen könnt!

Im vergangenen Juni fand hier in Göttingen eine Konferenz der NoLager-Bewegung statt. Abdounassir Konfe aus Burkina-Faso berichtete dort von seinem Kampf gegen die Abschiebung aus Deutschland, den er damals schon seit 6 Jahren führte. In seinem Vortrag formulierte er einen kurzen Satz, der vieles auf den Punkt bringt. Abdounassir Konfe sagte


„Wir müssen die Menschenrechte verkörpern.“

Gegen die Abschottung Europas! Für sichere Fluchtwege!
Bleiberecht für alle! Kampf dem Rassismus an jedem Ort!

Anmerkungen
(1) Eine gute Quelle zur Verfolgung der aktuellen Entwicklung ist derzeit der Twitter-Kanal vonMaximilian Pichl, der über die Nitter-Klone von Twitter ohne account mitgelesen werden kann: z.B.hier: https://nitter.unixfox.eu/MXPichl/with_replies
Ein informativer Text von ihm zum Entrechtungssystem: https://jacobin.de/artikel/die-eu-will-will-das-asylrecht-einschraenken-und-die-ampel-unterstuetzt-sie-dabei-nancy-faeser-ampel-asylreform-asylrecht-pushbacks-frontex-fluechtlingsgipfel-scholz-maximilian-pichl/
Noch aktueller und mehr in die Details gehend: https://verfassungsblog.de/europas-werk-und-deutschlands-beitrag/
(2) In der ersten Juniwoche wird der neue Stand der bekannt gewordenen Todesfälle durch die Festung Europa veröffentlicht werden. Am 01. Juni 2022 waren dies 48.647 getötete dokumentierte Tode von Geflüchteten seit 1993. Es ist zu befürchten, dass die Zahl der Getöteten um ein Vielfaches höher liegt, da das Sterben unter Bedingungen geschieht, die eine Aufklärung darüberverhindern. Auch das hat System. https://unitedagainstrefugeedeaths.eu/about-the-campaign/about-the-united-list-of-deaths/
(3) Um die (neo-)kolonialistische Dimension der juristischen Konstruktion der Festung Europa besser zu begreifen, kann die Lektüre eines Textes von Maximilian Steinbeis helfen: https://verfassungsblog.de/rechtslosigkeitsrecht/ Er schreibt darin vom „Europäischen Rechtslosigkeitsrecht“: „ein sich stetig weiterentwickelndes System planmäßiger rechtlicher Arrangements in der Absicht, das direkte oder an Dritte ausgelagerte Töten, Foltern, Ausrauben und anderweitig menschenunwürdig Behandeln von ehemals Kolonisierten, die Zutritt und Rechte von ihren einstigen Kolonialherren fordern, jeglicher rechtsstaatlichen Kontrolle zu entziehen.“
(4) Die Formulierung eines „Rätsels“ führt leider in eine falsche Richtung. Bush und Blair sind für den völkerrechtswidrigen Irakkrieg auch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Schröder und Fischer auch nicht für die völkerrechtswidrige Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen
Jugoslawien 1999. Es sind letztlich Machtfragen, die einer öffentlichen bzw. juristischen Aufarbeitung im Wege stehen.
(5) Genauer: UvdL bezeichnete Griechenland als „Schutzschild Europas“, nachdem sie das Vorgehen der griechischen Grenzschützer_innen am Grenzfluss Evros persönlich in Augenschein genommen hatte; die später dabei Getöteten ignorierte sie. Zu den Umständen der Tötungen siehe die Recherche https://forensic-architecture.org/investigation/the-killing-of-muhammad-gulzar Die Zahl der in den letzten 22 Jahren zu Tode gekommener Menschen allein an der Evros-Grenze beträgt nach Schätzungen 1.200-1.500. https://www.infomigrants.net/en/post/48783/at-the-evros-border-the-bodies-mount-up Hinweis zum kritischen Lesen: infomigrants.net ist kofinanziert von der EU und über die Deutsche Welle auch von der deutschen Regierung. Das prägt die Berichterstattung dort. Eines der übergeordneten Ziele scheint eine erhoffte Abschreckungswirkung auf Geflüchtete zu sein. Es fällt auch auf, dass die Rolle der EU und auch Deutschlands bei den berichteten Todesfällen oft ausgeblendet oder heruntergespielt wird. (6) https://www.proasyl.de/news/sonder-asylrecht-fuer-osteuropaeische-grenzstaaten/ (7) https://euromedrights.org/publication/hr-organisations-warn-of-the-deteriorating-situation-of-migrants-asylum-seekers-and-refugees-in-libya-and-the-worrying-shrinking-civic-space/ (8) https://www.aljazeera.com/news/2023/3/27/un-mission-accuses-eu-of-aiding-crimes-against-humanity-in-libya-2 Der komplette Abschlussbericht der Fact Finding Mission ist hier: https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session50/A_HRC_52_CRP.8-EN.docx (9) 2022 wurde 40.911 Personen in Deutschland eine „Rechtsstellung als Flüchtling“ zuerkannt. Von diesen waren 1.937 Menschen als „asylberechtigt“ anerkannt. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/SchluesselzahlenAsyl/flyer-schluesselzahlen-asyl-2022.html (10) Ort und Zahl korrigiert. (11) Die Filme sind auf youtube anzuschauen: der erste z.B. hier: https://yt.artemislena.eu/watch?v=5P21AfG6SPE (ist identisch mit youtube.com/watch? v=5P21AfG6SPE). Die NDR-Doku von Gerd Monheim ist unter dem Titel „Wer Gewalt sät – von Brandstiftern und Biedermännern“ zu finden https://invidious.privacydev.net/watch?v=nE45p6bD5T8. (12) Einige der Profiteurinnen des EU-Grenzregime werden in einer IMI-Broschüre benannt, die kostenlos runter zu laden ist https://www.imi-online.de/2021/10/04/eu-grenzregime/ Kürzerer Überblicksartikel dazu: https://www.imi-online.de/2022/03/11/migration-und-militarisierung/
Kaum beachtet wurde von einer sich kritisch verstehenden Öffentlichkeit, dass der spanische Ministerpräsident Sanchez nach dem Massaker vom 24.06.2022 an Geflüchteten in Melilla in Kooperation marokkanischer und spanischer Grenzschützer den Einsatz der NATO gegen Geflüchtete forderte.
https://www.telepolis.de/features/Schiessen-Nato-Soldaten-demnaechst-auf-Fluechtlinge-7161461.html?seite=all
https://geschichtedergegenwart.ch/warum-schicken-sie-uns-schwarze-in-die-hoelle-die-logik-hinter-dem-massaker-von-melilla/
(13) Vgl. die ausführliche Stellungnahme flüchtlingspolitischer Organisationen https://sea-watch.org/tunesien-ist-kein-sicheres-herkunftsland/
(14) https://migration-control.info/if-we-stay-here-we-are-going-to-die-testimonies-refugees-tunisia-protest-sit-in-unhcr-eviction/
(15) https://www.infomigrants.net/en/post/48464/scores-of-migrants-drowned-off-tunisian-libyan-coasts
(16) Siehe dazu ausführlich https://migration-control.info/wiki/tunesien/
(17) https://aegeanboatreport.com/2022/12/07/pushbacks-as-border-management/
Die Zahl der insgesamt aus Griechenland gepushbackten Menschen ist weitaus größer, da noch abertausende pushbacks an der Landgrenze am Fluss Evros hinzukommen. Bitte bei Zählungen beachten: Bei einer einzigen pushback-Aktion werden manchmal dutzende Menschen zurückgeschlagen.
(18) https://www.proasyl.de/news/beteiligung-von-frontex-und-deutschen-einsatzkraeften-an-pushbacks-muss-konsequenzen-haben/
(19) Die Kriminalisierung Geflüchteter und ihrer Unterstützer_innen lässt sich als eines der Kampfmittel der EU-Mitgliedsstaaten gegen Geflüchtete und Unterstützer_innen begreifen, mit dem „Abschreckungseffekte“ erzielt werden sollen. Eine Auswahl von Fällen ist hier dargestellt:
https://www.borderline-europe.de/projekte/kriminalisierung-von-migration-und-solidarit%C3%A4t
Einen Schwerpunkt auf die Kriminalisierung von Unterstützer_innen legt dieser Bericht: https://www.brot-fuer-die-welt.de/atlas-2023-schwerpunkt/ (20) https://mare-liberum.org/de/dissolution/ (21) Zur Geschichte des Konstruktes „Bleibeperspektive“: https://www.migrationsbegriffe.de/bleibeperspektive (22) Bis 2027 soll FRONTEX auf 10.000 Beamtinnen aufgestockt werden, die dann als bewaffnete „Grenzschützer_innen“ Abschiebungen aus den Lagern in Deutschland und außerhalb durchführen werden. Näheres zur Beteiligung dieser Organisation bei Menschenrechts- verletzungen: https://borderviolence.eu/search/frontex/ + https://abolishfrontex.org/ Mensch möge sich bitte einmal klarmachen, was es bedeutet, wenn die EU für Frontex-Einsätze z.B. im Senegal die „straf- und zivilrechtliche Immunität“ für Frontex-Beamt_innen „unter allen Umständen“ fordert:
https://www.labournet.de/internationales/afrika/westafrika-eine-kurze-geschichte-der-europaeischen-migrationskontrolle-im-senegal-will-frontex-erstmals-eine-operation-auf-dem-afrikanischen-kontinent-durchfuehren/